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Jetzt schlau statt arm

Alles kommt immer anders als man denkt: Barbara Beyer inszeniert den „Wozzeck“ in Aachen. Generalintendant Paul Esterhazy verlängert seinen Vertrag in Aachen erst einmal nicht

Für Spannung sorgt auch der angekündigte Abgang von Generalintendant Paul Esterhazy

VON FRIEDER REININGHAUS

Als er 1925 in Berlin auftauchte, war er in jeder Hinsicht Anstoß: Alban Bergs „Wozzeck“. Das Arme-Leute-Stück bedeutete für ein wagnergetränktes Publikum eine böse Herausforderung. Inzwischen hat Georg Büchners Elendsfigur auf den Musiktheaterbühnen ein bemerkenswertes Eigenleben entwickelt. Zuletzt führte sie Peter Konwitschny in Hamburg als einen mit Geld um sich werfenden Kerl vor, der im Grunde aber ein armes Schwein bleibt. Und nun inszenierte Barbara Bayer „Wozzeck“ in Aachen: rund um die Kloschüssel.

Gleich zu Beginn lässt der Hauptdarsteller Johannes R. Kösters die Hosen herunter und sich auf dem weißen Porzellansitz nieder. Er liest ein Heftchen. Thronend in der Mitte der Bühne wirkt er wie ein resignierter Regent. Er denkt nicht daran, den schwadronierenden jungen Hauptmann zu rasieren. Er zieht einen Revolver und feuert auf den halbwüchsigen Sportsfreund, der hinterm Bett herumkrabbelt – es ist der Sohn seiner Geliebten Marie und auch sein eigener. Dieser Wozzeck im feinen Tuch begibt sich auch nicht mit Kamerad Andres hinaus aufs freie Feld, sondern sieht die Himmelsfeuerzeichen zwischen Badewanne und Duschkabine.

Die Hinwendung der superdrallen Marie zum Tambourmajor, einem prallen Country-Freak, und die wachsende Entfremdung zwischen ihr und Wozzeck zeigt sich zwischen Bettkante und Waschtisch. Später – eigentlich findet dies in der Kaserne statt, bei Beyer aber zwischen den in Loden-Moden gehüllten Mannen eines Gesangsvereins – wird nicht Wozzeck vom bärenstarken Rivalen verprügelt, sondern er erschießt diesen (auch die Gewaltverhältnisse der Handlung wurden also verschoben!). Das Opfer gebärdet sich als durchgeknallter Rächer von Demütigungen, denen in ihrer grotesken Überdrehung der motivierende Ernst fehlt. Der Doktor zum Beispiel, der mit Wozzeck seine Experimente am lebenden Menschen vorantreibt, tritt als Helge-Schneider-Parodie auf und besudelt seinen Patienten gründlich mit Ketchup. Zum Sterben legt Wozzeck die Marie in die Duschkabine. Er selbst verkriecht sich zum Abschied aus dem Leben unters Deckbett. Das grenzt an Theater-Verweigerung.

Mag Georg Büchner davon ausgegangen sein, dass „aus der Geschichte“ zu lernen sei, und mag auch Alban Berg das Fragment nicht zuletzt im Hinblick auf die entwurzelt aus dem ersten Weltkrieg in die Zivilgesellschaft zurückkehrenden Soldaten in drastische Musik gesetzt haben – Barbara Beyer demonstriert, dass all solche Lehren obsolet geworden seien. Sie zeigt, dass es allenthalben anders kommt, als man denkt. Aus „Wir arme Leut“ wurde „Wir schlauen Leut!“

Das Premierenpublikum hat sich überwiegend auf das Gedankenspiel eingelassen. Angetan war man allgemein vor allem von der musikalischen Leistung, die Marcus Bosch mit dem Ensemble und seinem Orchester zu Wege brachte. So schlägt nun auch diese Premiere dem Theater Aachen als Pluspunkt zu Buche. Und das wiegt besonders, da die Kommunalpolitiker jetzt noch einmal mit dem Generalintendanten Paul Esterhazy verhandeln. Der hat ja, wegen ruinöser Sparauflagen, für das Ende der Spielzeit seinen Abgang angekündigt. Aachen wird einiges bieten müssen, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Er sorgt für Spannung.

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