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Osten lässt Gelsenkirchen bluten

Nach Vaillant will nun auch der Automobilzulieferer TWR Gelsenkirchen verlassen und 440 Menschen feuern. Gewerkschaften und Politik fürchten ein „Ausbluten der ganzen Region“

VON MANFRED WIECZOREK

Die Rutschbahn Richtung Osten – sie neigt sich ab dieser Woche noch steiler. Der Automobilzulieferer Thompson Ramo Wooldridge (TRW) in Gelsenkirchen wird die Produktion von Kugelgelenken ab September ins tschechische Dacice verlagern. 440 von 971 Arbeitern werden entlassen. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Oliver Wittke (CDU) und der IG Metall-Bevollmächtige Alfred Schleu fürchten, die gesamte Emscher-Lippe Region „blutet aus.“

Nur wenige Wochen zuvor hatte der Heizgerätehersteller Vaillant angekündigt, sein Gelsenkirchener Werk mit 250 Arbeitsplätzen zu schließen und die Fertigung in Remscheid zu konzentrieren. Laut Betriebsrat nur ein Zwischenschritt auf dem Weg nach Osteuropa. Auch TRW Automotive ist ein Global Player mit elf Milliarden US-Dollar Umsatz und 168 Standorten weltweit, davon 19 in Deutschland. „Es ändert sich alle fünf Minuten etwas“, sagt der Gelsenkirchener TRW-Betriebsrat Bernd Otto. „Unsere Standorte werden ständig auf ihre Profitabilität überprüft und verglichen“, sagt Werksleiter Heinz Stupp. Im Vergleich zum Werk in Dacice könne Gelsenkirchen nicht mithalten. „Ein Arbeiter in Dacice kostet jährlich rund 8.000, in Gelsenkirchen 37.000 Euro.“ Da in Tschechien bereits Kugelgelenke produziert würden, läge es nahe, die Fertigung dort zu konzentrieren. Betriebsrat Bernd Otto ist fassungslos: “Wir schreiben schwarze Zahlen. Dafür haben wir alles getan. Verzicht auf Resturlaub, Absenken der Arbeitszeitkonten, vier Schichten.“

Gäbe es einen Preis für innovative Beschäftigungsförderung, Wittke hätte ihn vor fünf Jahren bei seinem Amtsantritt als OB an TRW verliehen. Damals konnten durch flexible Arbeitszeitmodelle 130 Arbeitsplätze geschaffen werden. Jetzt sitzt der zur Belegschaft geeilte OB zusammengesunken im Betriebsratszimmer und knibbelt an einem Flaschenetikett. „Mit ihrer Argumentation können Sie jede Produktion aus Deutschland verlagern“, hält er Werksleiter Stupp entgegen. Stupp sagt, seit 15 Jahren sei er fast ausschließlich damit beschäftigt, sich der Konkurrenz anderer Standorte zu erwehren. „Es ist schwierig genug mit Spanien oder Frankreich zu konkurrieren. Die Öffnung Osteuropas aber hat alles drastisch beschleunigt.“ Zukunft habe nur, wer hochkomplexe Systeme fertige, die viel Know How erforderten. Dies sei bei der zweiten Fertigungslinie in Gelsenkirchen mit den Servo- und elektronischen Lenkungen der Fall. „Diese Sparte mit ihren über 500 Arbeitsplätzen können wir jetzt stabilisieren“, wirbt Stupp um Verständnis. Bernd Otto winkt ab: „Ich kann es nicht mehr hören. In ein paar Jahren kommt ihr wieder und sagt, die Anderen können das jetzt auch.“ Was der Betriebsrat noch machen könne? Bernd Otto zuckt mit den Schultern, sagt trotzig: „Kämpfen, wir werden kämpfen.“ Und mit ihnen eine ganze Stadt, versichern OB Wittke und Gewerkschafter Schleu. „Es geht hier längst um die Zukunft einer ganzen Region, aber Gehör finden wir damit kaum“ sagt Oliver Wittke.

„Seien Sie Architekten Ihrer Zukunft, nicht Opfer Ihrer Umgebung“, lautet einer der „TRW Verhaltensgrundsätze“. Den Menschen in Gelsenkirchen wird dieser Spruch wie Hohn in den Ohren klingen. Heute wird auch der Glashersteller Pilkington seiner Belegschaft mitteilen, dass 80 der insgesamt 600 Arbeitsplätze in Gelsenkirchen abgebaut werden.

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