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Gutes und Böses tun

Soll man Kita-Plätze umverteilen oder erst mal für mehr Geld kämpfen? FDP-Jugendpolitiker Wieland Schinnenburg und SPD-Jugendpolitiker Thomas Böwer streiten zur Frage, warum aus dem ‚Pakt für Kinder‘ nichts wurde

„Deswegen wird das Gutscheinsystem die Kluft zwischen denen, die haben, und denen, die nicht haben, vergrößern.“

Moderation: KAIJA KUTTER Fotos: MARKUS SCHOLZ

taz: Wer wird Gewinner des Kita-Gutscheinsystems?

Wieland Schinnenburg: Die Kinder, weil wir eindeutige Qualitätskriterien festschreiben. Und die Eltern, weil sie die Nachfragemacht bekommen.

Thomas Böwer: Nachfragemacht allein reicht nicht, Eltern wollen auch Planungssicherheit. Und die ist nicht gegeben, wenn man Plätze abbaut und keinen Ausbau plant. Hamburg fehlen 18.000 Kita-Plätze, und es gibt kein Programm, um diese zu schaffen. Das wird sich ändern, wenn die SPD im August 2004 die Kita-Volksinitiative durchsetzt. Aber bis dahin müssen sie dringend einige Dinge korrigieren. Arbeitslose brauchen eine Garantie für ihren alten Platz.

Schinnenburg: Aber die gibt es. Wenn Eltern arbeitlos werden, dürfen die Kinder den Platz ohnehin vier Monate behalten. In der Zeit bekommen 60 Prozent wieder Arbeit. Danach wird das Kind auf vier Stunden runtergestuft. Und sowie sie wieder Arbeit haben, geht es wieder rauf.

Böwer: Das ist die Theorie. In der Praxis ist dieser Platz inzwischen belegt. In vielen Fällen werden die Eltern die Kita wechseln müssen. Die Träger haben nicht umsonst gesagt, Freunde, lasst den Familien den Platz für zwölf Monate, weil es auf dem Arbeitsmarkt ein Kommen und Gehen gibt.

Schinnenburg: Die städtische Vereinigung sagt, sie kriegt das hin. In den allermeisten Fällen kann das Kind auch mit vier Stunden in seiner Gruppe bleiben. Sie können dann ein Kind von 8 bis 12 Uhr und ein weiteres von 12 bis 16 Uhr betreuen.

Das bringt viel Unruhe.

Böwer: Sie sollten Arbeitslosen die Sorge um den Kita-Platz abnehmen. Eltern sagen, wenn ihr Kind in den Kindergarten kommt, dann braucht es die Sicherheit, dass es dort bis zur Einschulung bleibt, es sei denn, man zieht um. Sie können den Zeitumfang runterstufen aber nicht die Kita ansich in Frage stellen. Damit ist noch nicht meine Generalkritik verbunden: dass es keine Nachfragemacht der Eltern gibt, weil 18.000 Plätze fehlen.

Schinnenburg: Es fehlen nur 13.000 Plätze. Aber egal. Wenn es einen Platzmangel gibt, ist es doch so: wenn sie einem was Gutes tun, müssen sie einem anderen was Böses tun. Wenn bei Arbeitslosigkeit der Anspruch sechs oder sogar zwölf Monate bleibt, kostet das Ressourcen. Die müssen wir jemand anderem wegnehmen. In diesem Fall wahrscheinlich Berufstätigen. Ich habe reihenweise Anrufe von berufstätigen Eltern, die sagen, nun sorgt mal dafür, dass wir einen Anspruch haben und nicht die Arbeitslosen. Die können sich um ihre Kinder kümmern. Mir geht es auch darum, mehr Müttern die Berufstätigkeit zu ermöglichen.

Wieviel Kita braucht ein Kind, das bei einem Elternteil in einem sozialen Brennpunkt lebt?

Schinnenburg: Grundsätzlich reichen vier Stunden. Anders sieht es aus, wenn die Mutter Drogen nimmt oder sich um das Kind nicht kümmert.

Böwer: Der Status Sozialhilfe allein macht noch keinen weiteren Bedarf aus. Aber Kitas haben eine kompensatorische Aufgabe, um Probleme im Wohnumfeld und Erziehungsdefizite auszugleichen. Ich würde dies flexibel entscheiden. Aber es gibt im neuen System überhaupt keinen Platz mehr, um diese Kompensation zu leisten. Denn das Bewilligungskriterium ‚sonstiger sozialer Bedarf‘ ist quasi chancenlos.

Wie wandern künftig die Plätze von Stadtteil A nach B?

Schinnenburg: Die Erzieher sind das geringere Problem. Die gehen halt zu einer anderen Kita. Aber mit Räumen wird es schwieriger, weil Hamburg eng bebaut ist. Wir haben auch nie behauptet, wir führen das System am 1. August ein und ab 1. Oktober haben sich schon perfekte Strukturen gebildet. Das dauert eine gewisse Zeit.

Muss es nicht jemand geben, der diesen Ausbau vorfinanziert?

Schinnenburg: Wieso? Das ist bei Arztpraxen auch nicht so. Ärzte sind gehalten, dort Praxen aufzumachen, wo Patienten sind.

Böwer: Der Senat hat mit den Trägern eine Vereinbarung über den Abbau von Plätzen geschlossen. Ein Träger muss Investitionen nicht zurückzahlen, wenn er Plätze schließt. Aber es ist überhaupt nicht geregelt, wie denn neue Plätze entstehen. Das ist sehr viel schwieriger. Wir haben in den 90ern 20.000 Plätze geschaffen, das war ein Kraftakt, da braucht es Finanzströme. Die Träger beklagen, dass sie überhaupt nicht das Geld haben, dies in Zukunft durchzuführen. Da ist nichts im Investitionshaushalt vorgesehen. Ich bemängele aber auch die fehlende Kreativität. Warum führen wir den Kita-Bereich nicht mit dem Ausbau vonGanztagsschulen zusammen? Wenn wir da bei den Grundschulen beginnen, können wir Kita-Horte einsparen und dafür Plätze für Vorschulkinder gewinnen.

Reicht das aus, um 18.000 fehlende Plätze zu finanzieren?

Böwer: Es gibt ja auch noch das Krippenausbauprogramm der Bundesregierung. Da gibt es jährlich 1,5 Milliarden Euro, davon könnte Hamburg bei einem Bevölkerungsanteil von zwei Prozent rund 30 Millionen Euro bekommen. Das wäre ein guter Teil der 50 Millionen Euro, die Hamburg für den Ausbau braucht.

Schinnenburg: Da gibt es kein Geld. Der Bund will keinen einzigen Cent zahlen. Er fordert nur die Länder auf, das Geld, was sie mit dem Hartz-Konzept angeblich sparen, dafür zu verwenden.

Böwer: Die Länder sparen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sieben Milliarden, die der Bund zahlt. Davon werden 1,5 Milliarden für den Krippenausbau reserviert.

Schinnenburg: Wenn der Bund von seinem Geld etwas auf die Länder verteilt, werde ich sofort verkünden: tolle Sache. Nur bisher steht in der Koalitionsvereinbarung das Gegenteil. Die Länder dürften ihr Geld behalten, das sie durch Hartz sparen.

Böwer: Nein. Es gilt hier, nicht weiter zu diffamieren, sondern im Sinne vom Hamburg zu verhandeln. Eine Klippe ist, dass wir bereits vergleichsweise viele Krippenplätze haben. Hier gilt es auch über die Parteigrenzen hinweg dafür zu werben, dass Großstädte wie Hamburg einen höheren Versorgungsgrad brauchen. Und der Rest der 50 Millionen muss aus anderen Bereichen kommen. Da muss mit den Mettbachs und Wagners gestritten werden. Wir reden hier von einem wichtigen Bildungsbestandteil. Alles, was wir bei Hänschen investieren, sparen wir ...

Schinnenburg: ... bei Hans.

Die SPD versprach im Wahlkampf 2001 75 Millionen Euro für Kita-Ausbau. Wo ist das Geld?

Böwer: Das müssen Sie Finanzsenator Peiner fragen. Das Wahlprogramm der SPD war kein Bewerbungsschreiben Richtung Opposition. Kita war und ist ein Schwerpunkt der SPD-Politik. Das war kein leichtes Aushandeln mit Ingrid Nümann-Seidewinkel, da ist gekämpft worden. Das werfe ich den koalitionären Jugendpolitkern vor: Sie haben für Ihren Etat nicht gekämpft.

Schinnenburg: Aber ganz feste haben wir dafür mit dem Finanzsenator gekämpft. Aber Stand heute ist, es gibt kein zusätzliches Geld. Auch nicht von Ihnen.

Warum warten Sie nicht mit der Kita-Reform, bis klar ist, ob es die Berliner Millionen gibt?

Schinnenburg: Weil wir das Gutscheinsystem besonders brauchen, wenn Mangel herrscht. Weil ein marktwirtschaftliches System besser in der Lage ist, die Ressourcen zu verteilen.

Damit richten Sie Flurschäden in sozialen Brenpunkten an.

Böwer: Wenn jemand acht Stunden hat, aber nur sechs braucht, soll er auch nur die bekommen. Soweit stimme ich ihrem Modell zu. Die Frage ist, was Kinder auf der Veddel und in Wilhelmsburg brauchen. Da wird gegenwärtig gerade im Bereich Sprachförderung weit mehr geleistet, was sie kappen werden. Das ist unsozial.

„Ich habe reihenweise Anrufe von berufstätigen Eltern, die sagen, nun sorgt mal dafür, dass wir einen Anspruch haben und nicht die Arbeitslosen.“

Schinnenburg: In Wilhelmsburg gehen manche Kinder acht Stunden in die Kita und sprechen bei Schulbeginn trotzdem kein Deutsch. Es kommt nicht drauf an wie lange, sondern wie die Sprache gefördert wird. Zusätzlich führen wir ja die Sprachstandserhebung mit viereinhalb Jahren ein und bewilligen mehr Zeit, wenn erforderlich.

Böwer: Ich habe gemeinsam mit Susanne Gaschke von der Zeit eine konzeptionell anspruchsvolle bilinguale Kita in Altona und eine Kita auf der Veddel besucht. Unser Eindruck war, dass bei beiden in etwa das Gleiche an Sprachförderung geleistet wurde. Nur leider konnten wir das nicht messen. Deswegen begrüße ich die Sprachstandserhebung. Aber Sie vernachlässigen den Kompensationsbedarf. Die Lebensbedingungen im grünen Lokstedt sind völlig andere als in Mümmelmannsberg. Dort ist der kompensatorische Ansatz ein völlig anderer als wenn ich eine bürgerliche Bildungsfamilie habe. Bei den einen muss ich sehr viel mehr investieren. Deswegen wird die Kluft zwischen denen, die haben, und denen, die nicht haben, größer. Und zwar von Kindesbeinen an. Die Alternative wäre, zu überlegen, wie kriegen wir den Ausbau gemeinsam hin, wie kriegen wir Geld aus Berlin? Deshalb unser Angebot im November, einen ‚Pakt für Kinder‘ zu machen. Den haben Sie leichtfertig abgelehnt.

Schinnenburg: Den ‚Pakt für Kinder‘ hätten wir gerne geschlossen, wenn Sie einen konstruktiven Beitrag geleistet hätten. Sie haben aber nur beklagt, die Migrantenkinder kämen zu kurz. Aber wenn Sie sagen, es sollen in Wilhelmsburg weiter ganz viele acht Stunden bekommen, nehmen Sie es den Berufstätigen.

Böwer: Herr Schinnenburg, Sie nehmen in Wilhelmsburg Geld weg und geben es nicht woanders aus, sondern sparen es ein.

Schinnenburg: Nein. Der rot-grüne Senat hat bei den Kitas Haushaltsmittel in Millionenhöhe gespart, wir nicht.

Böwer: Das war ein Fehler. Wenn Sie das auch so sehen, können Sie die 27 Millionen Mark ja wieder aufstocken. Aber ich frage Sie: Wo ist das Investitionsprogramm? Wo sind die sozialplanerischen Daten, um festzustellen, wie es mit dem Abbau aussieht? Diese Zahlen gibt es nicht. Das hat der Senat vor dem Jugendausschuss gesagt. Aber das Rote Kreuz hat es für Neuwiedenthal erhoben: Wegfall von zwei Krippengruppen und Halbierung des Hortangebots aufgrund Ihrer Kriterien in einer sechs- bis achtstöckigen Plattenbausiedlung.

Schinnenburg: Ich behaupte, die Träger wissen das gar nicht so genau, weil sie selber die Auswirkungen nicht kennen. Ich vertraue aber darauf, dass die Träger wirtschaftlich denken und die Plätze dort anbieten, wo sie Eltern mit Gutscheinen antreffen.

Mütter, die die halbe Woche arbeiten, werden von ihrem System nicht profitieren. Laut Globalrichtlinien bekommen sie nur 4 Stunden plus Tagesmutter.

Schinnenburg: Zu diesem Spezialfall kann ich auf Anhieb nichts sagen.

Böwer: Das steht so in den Globalrichtlinien. Wie so oft liegt der Teufel im Detail. Das wird sich bei der Umsetzung des Kita-Gutscheinsystems zeigen.

Schinnenburg: Und ich glaube, dass alle überrascht sein werden, wie gut Eltern und Kinder mit dem neuen System fahren.

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