: Sägen erlaubt – Bäume in Not
Bremer schützen ihre Bäume auch ohne Verordnung – so rechtfertigte das Umweltressort den abgespeckten Baumschutz. Anwohner, Umweltverbände und Baumpfleger aber registrieren Anderes: Seit Jahresanfang stapeln sich die Säge-Aufträge
taz ■ Der Brief kommt vom Rechtsanwalt und der Ton ist harsch. Unverzüglich müssten die über den Zaun ragenden Äste, am besten gleich der ganze Baum entfernt werden. Auf derlei Forderungen aus der Nachbarschaft konnten BaumbesitzerInnen bisher gelassen reagieren: Bäume auf Privatgrundstücken waren in Bremen geschützt, die Sägen durften nur in Ausnahmefällen und mit behördlicher Genehmigung in Aktion treten. Seit diesem Jahr aber ist alles anders: Nach der neuen Baumschutzverordnung, auf Betreiben von Umweltsenatorin Christine Wischer (SPD) kurz vor Weihnachten verabschiedet, sind Nadelbäume, Weiden und Pappeln sowie alle Bäume, die weniger als zwei Meter von der Grundstücksgrenze beziehungsweise weniger als fünf Meter von einem Gebäude entfernt stehen, nicht mehr geschützt – Nachbarn, die sich von den grünen Riesen belästigt fühlen, wittern Morgenluft.
„Jetzt fangen die Leute an, sich gegenseitig die Bäume zu verstümmeln“, klagt Baumpfleger Volker Kranz. Einen ganzen Stapel derartiger Stutz- und Fäll-Aufträge von verunsicherten EigentümerInnen hat er bereits auf seinem Schreibtisch liegen. Das Problem dabei: Große Eingriffe in die Krone können die grünen Riesen schwer verkraften. Kranz: „Da kann man den Baum gleich fällen.“ BaumbesitzerInnen, denen die NachbarInnen wegen überhängender Äste auf die Pelle rücken, rät der Baumpfleger im Zweifelsfall sogar zum Prozess. Ein Anrecht der Nachbarn auf Teilfällung eines Baumes sei auch aus der abgespeckten Baumschutzverordnung nicht ableitbar.
Im Streit um die Baumschutz-Novelle hatte Umweltsenatorin Wischer im letzten Jahr immer herausgestellt, dass Bremen eine grüne Stadt bleiben werde – Tenor: BremerInnen schützen ihre Bäume auch ohne entsprechende Vorschrift. Dem ist offensichtlich nicht so. „Es werden eindeutig mehr Bäume gefällt als zuvor“, sagt Baumpfleger Kranz. Wer immer schon einen Baum loswerden wollte, lasse jetzt die Säge kreischen. Das sei nur „subjektives Empfinden“, widerspricht das Umweltressort. Ein Zusammenhang mit der „liberalisierten“ Baumschutzverordnung sei nicht erkennbar.
„Es wird mehr geholzt“, bestätigt indes auch der Baumschutzexperte beim Bremer BUND, Michael Abendroth. Die von den Umweltverbänden im Vorfeld geäußerten Befürchtungen hätten sich bewahrheitet. Innerhalb der Stadt könne man inzwischen so gut wie jeden Baum einfach fällen, kritisiert er.
Beispiele bürgerlicher Sägewut lassen sich etwa in Bremen-Nord besichtigen. Wolfgang Unger, baumliebender Lesumer, zählte allein im direkten Umfeld seiner Wohnung mehr als 20 gefällte Bäume auf Privatgrundstücken, darunter uralte Platanen und Eichen. Sein Protestbrief hat inzwischen selbst in Wischers Behörde Wellen geschlagen. Es sei „nicht auszuschließen“, dass im Zuge der „Liberalisierung“ auch ungerechtfertigt Bäume umgesägt würden, räumt Sprecher Holger Bruns ein. Und: „Es mag sein, dass das in Bremen-Nord in übermäßiger Zahl der Fall ist.“ Die Behörde wolle jetzt das Gespräch mit den AnwohnerInnen suchen – um zumindest weiteren Fäll-Aktionen zuvor zu kommen.
Die alte Baumschutzverordnung, mussten sich die Kritiker der „Liberalisierung“ im letzten Jahr vorhalten lassen, sei vor allem ein riesiger bürokratischer Aufwand. Letzten Endes, so Wischers Argumentation damals, würden sowieso 80 Prozent der Fäll-Anträge genehmigt. Verschwiegen hatte Wischer indes, dass als „Fäll-Genehmigung“ bei dieser Statistik auch zählte, wenn der Baum lediglich ein wenig zurückgeschnitten oder gestutzt werden durfte.
Wie viele Opfer die neue Säge-Freiheit letztlich fordert, ist noch nicht abzusehen. „Richtig los geht es erst im nächsten Jahr“, fürchtet Abendroth. Armin Simon
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen