JEDE ARBEIT IST ZUMUTBAR? DANN MUSS SIE AUCH VORHANDEN SEIN: Faulheitsdebatte Nr. 5
Für Arbeitslose werden die Zeiten noch schlechter, als sie eh schon sind. Zum einen will die Bundesregierung die Arbeitslosenhilfe senken, wobei sich angesichts leerer Kassen durchaus darüber diskutieren lässt, wie der Staat seine Hilfsgelder organisiert. Zum Zweiten aber garnieren SPD-Politiker die Kürzungspläne wieder mal mit einer Kampagne gegen die angeblich faulen Arbeitslosen. Die Joblosigkeit wird also zur individuellen Entscheidung stilisiert und der Bezug von Arbeitlosenhilfe zur Schmarotzerei erklärt. Zuletzt hat jetzt der SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler gefordert, dass Arbeitslose in Zukunft zur Annahme jedes Jobangebots verpflichtet werden müssten – mit der bösartigen Begründung, es dürfe nicht sein, dass ein früherer Gutverdiener mehr Arbeitlosenhilfe bekomme als eine Vollzeit arbeitende Verkäuferin.
In der Sache lässt sich schnell dagegen argumentieren. Dass viele Verkäuferinnen miserabel bezahlt werden, spricht nicht für Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, sondern für notwendige Lohnerhöhungen. Wichtiger jedoch ist: Viereinhalb Millionen sind arbeitslos, während nur eineinhalb Millionen Stellen offen sind – davon ein Drittel bei den Arbeitsämtern registriert. Drückebergerei ist also wahrlich nicht das Problem, zumal es bereits genügend Mittel gibt, sie zu bestrafen. Es fehlt an Arbeit.
Und: Stieglers Plan, dass jeder Arbeitslose jede Arbeit annehmen soll, bedeutet, dass die besser qualifizierten Arbeitslosen die weniger gut ausgebildeten verdrängen, wenn sie um eine Stelle konkurrieren. Das verringert zwar die Ausgaben für „teurere“ Arbeitlose, produziert aber mehr „billige“ Langzeitarbeitslose – eine schäbige Form der Sozialpolitik.
Der Verlauf der bisherigen Faulheitsdebatten – 1975, 1981, 1993 und 2001 – war immer gleich. Sie wurden immer dann von Regierungspolitikern angezettelt, wenn die Konjunktur lahmte und die Arbeitslosigkeit deutlich stieg. Dann folgten Meinungsumfragen, die bezeugten: Immer mehr Menschen glauben, dass Arbeitslose gar nicht arbeiten wollten. Und die Debatte endete stets mit einer Verschärfung arbeitsmarktpolitischer Bestimmungen, vor allem der Zumutbarkeitsregelungen.
Dieses Schema entdeckt zu haben, ist das Verdienst der Sozialforscher am Wissenschaftszentrum Berlin. Offenbar hält die Bundesregierung das Empörungspotenzial gegen ihre Kürzungspolitik für so gravierend, dass sie mit Tricks und Demagogie arbeitet, um ihre Ziele durchzusetzen. Bisher begannen alle vier deutlich identifizierbaren Faulheitsdebatten ein bis zwei Jahre vor Neuwahlen. Auch die fünfte könnte in dieses Schema passen.
DIETMAR BARTZ
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