: „Umdenken ist nötig“
Verbot des „Nazi“-Aufmarsches in Hamburg ist juristisch möglich, meinen Gegner. Protestbündnis mit Gegendemo
Hamburg taz ■ Die Planung des „Aktionsbüro Norddeutschland“ ist abgeschlossen. Von Flensburg bis Göttingen, von Rostock bis Bremen werden die braunen Kameraden anreisen zum „Ehrenschutz“: Aus Protest gegen die jetzt zum letzten Mal gezeigte Schau „Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskriegs 1941–1944“ marschieren sie am Sonnabend ab 12 Uhr unweit des Ausstellungsgeländes in Hamburg-Winterhude.
Nicht ohne Gegenwind: Mehr als 40 Organisationen rufen zur Gegendemonstration auf, darunter Antifa-Gruppen und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Parteien, Gewerkschaften und Kirchengemeinden. Selbst die Innenbehörde des Ex-Schill-Senators Dirk Nockemann suchte nach Wegen, den Aufmarsch zu verbieten. „Alle rechtlichen Möglichkeiten“ seien geprüft worden, erklärte auch Polizeipräsident Udo Nagel: „Ein Verbot ist nicht möglich.“
Dem widersprechen die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, sowie weitere Hamburger Persönlichkeiten. In einem offenen Brief an den Ersten Bürgermeister Ole von Beust erinnern sie an den Artikel 139 des Grundgesetzes (GG), der auf Bestimmungen des Potsdamer Abkommens Bezug nimmt. Demnach sind Nazi-Organisationen aufzulösen, nazistische Propaganda ist zu verbieten. Auf dieses „antifaschistische Gedächtnis“ des GG ist in den vergangenen Jahren wiederholt hingewiesen worden, auch die Bundesregierung bestätigte mehrfach, dass der Artikel 139 geltendes Recht ist. In der herrschenden Rechtsprechung wird er aber als „obsolet“ interpretiert – es gebe andere Rechtsmittel.
Diese aber scheinen nicht unterbinden zu können, dass nun Rechte aufmarschieren, die sich in einer aktuellen Flugschrift als „Nazis“ bezeichnen und ausdrücklich für die verbotene „Waffen-SS“ werben. „Ein Umdenken ist nötig“, meint VVN-Sprecherin Cornelia Kerth. Besonders pikant: Die Relativierung von Artikel 139 betrieb insbesondere der Staatsrechtler Theodor Maunz in seinem Grundgesetzkommentar. Als der Autor des Standardwerks „Maunz-Dürig“ 1993 verstarb, bedankte sich die rechtsextreme Deutsche Volksunion bei ihm – für die enge Zusammenarbeit. Andreas Speit
Antifa-Demonstration: 11 Uhr, S-/U-Bahnhof Barmbek; Kundgebung: 12 Uhr, Herder-, Ecke Weidestraße. Infos: www.hamburg-gegen-nazis.de.vu
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