: Das ist ein ganz hässliches Wort
Das „Scheiße“-Verbot kehrt in deutsche Mittelstandskinderzimmer zurück
Dass Menschen nach erfolgreicher Fortpflanzung seltsam werden, ist ja nix Neues. Dass aber einige Mutter- und Vatertiere Elternschaft mit Hirnlosigkeit bzw. der absoluten Abwesenheit von Verstand verwechseln, überrascht immer wieder. So gibt es Exemplare dieser Daseinsform, die bis zum Tag X einen relativ zurechnungsfähigen Eindruck machen, dann aber – kaum ist der Nachwuchs da – urplötzlich in die Denkstrukturen der 50er verfallen: Mama bleibt schön zu Hause, Papa gibt den gestressten Ernährer, und kaum hat man sich versehen, ist ein Eigenheim auf dem Land gekauft oder gebaut, die Scholle in Form eines Obstgartens inklusive Kräuterbeets wird bestellt, und fortan ist das Leben ein einziger Pfannekuchen. Klar kann man mit Kindern auch schön auf dem Land leben. Man kann’s aber auch lassen und den Gören ein Aufwachsen in einer halbwegs urbanen und zivilisierten Umgebung gönnen.
Sehr schön ist der Verlust des elterlichen Denkvermögens auch am „Scheiße“- Verbot zu erkennen. Da sitzt man entspannt beisammen, Eltern mit Eltern, die Kinder tollen umher, Kaffeekuchen wird gereicht, das Mega-Stück Schokosahne mit Mandarine kippt vom Tortenheber und fällt auf den weißen Berber … Solch ein Unglück kann man als sprachbewusster Mensch adäquat nur mit einem harmlosen „Verdammte Kackscheiße“ oder einem etwas schärferen, aber aufgrund seiner Siebzigerjahre-Antiquiertheit hilflos neckischen „Fick die Henne!“ kommentieren. Tut man dies aber, kippt die Stimmung ins Arktische. Zunächst muss man noch lachen, weil natürlich die beiden anwesenden Zweijährigen kurzzeitig „Backsseiße“ zu ihrem Lieblingswort küren und versuchen, den Kuchen vom Teppich direkt in ihre gierigen, kleinen Schlünde zu schlürfen. Dann aber bemerkt man die Blicke der sich spontan formierenden gegnerischen Elternpartei. Während sie einen vorwurfsvoll anschauen, sagen sie zu ihrem Kind: „Das ist kein schönes Wort. Das ist ein ganz hässliches Wort“, was natürlich mit einem erneuten „Backsseiße, Backsseiße“ kommentiert wird. Wenn der dünne Firnis der Zivilisation hält, dann wird man einfach nicht mehr eingeladen, und falls man sich doch zufällig mal begegnet, werden dem Kind unauffällig die Ohren zugehalten.
Oft genug ist aber noch nicht einmal so viel Höflichkeit im Spiel. Dann wagen es scheinbar erwachsene Menschen tatsächlich, einem vorzuschreiben, welches Vokabular man wann zu benutzen hat. Und sagen Dinge wie: „Wir achten selbst drauf, dass wir nicht mehr so oft ‚Scheiße‘ sagen.“ Und da möchte man – genau – eben das brüllen. Diese armen Irren glauben ernsthaft daran, dass sie durch ein solch heuchlerisches Verhalten irgendetwas aus ihrer Sicht Negatives verhindern könnten, und propagieren damit das uralte sprachhygienische Ammenmärchen, es gäbe „hässliche“, ergo „böse“ Wörter. Dabei sind Wörter doch einfach nur Wörter! Sie vergiften die kindliche Seele nicht. Vor allem, wenn sie wie „Scheiße“ fast nichts außer etwas Unappetitlich-Organisches bedeuten. Aber selbst das ist ja meist nicht gemeint. Gemeint ist „Wie ärgerlich!“ oder adjektivisch benutzt „nicht gut“. „Scheiße“ zischt und knallt aber einfach besser. Sprache hat ja auch einen wirkungsästhetischen Aspekt. Nur richtige, brutale Inhalte können die Seele vergiften.
Deswegen ist zum Beispiel die Generation der heute 60- bis 80-Jährigen auch zutiefst zu bedauern: Wer mit der Ideologie von Wörtern wie „Judennase“, „Zigeunerpack“ und „Arier“ aufgewachsen ist, der kriegt diesen Müll sein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf. Heute muss man sich vor allem hüten, Begriffe wie „Humanitäre Aktion“, „Kollateralschäden“ oder „Terrorismusbekämpfung“ zu benutzen und sich damit das Hirn zu verseuchen. Diese Wörter bedeuten nämlich nur eins: Krieg. Und das kann man schließlich auch sagen, wenn man es meint.
Aber zurück zum „Scheiße“-Verbot: Niemand sehnt sich danach, irgendwann von seinem Kind ein „Hey Fotzengesicht, gib mir mal die Butter“ am Frühstückstisch entgegengeschleudert zu bekommen. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass sich das durch die Behauptung, es gäbe „böse“ Wörter verhindern lässt. Außerdem besteht ja ein himmelweiter Unterschied zwischen einer Beleidigung und einem Wort, dass irgendjemand nicht in den Kram passt. Das sollte man Kindern beibringen: Beleidigungen nur bewusst und mit Bedacht einsetzen! Und man muss damit rechnen, dass man zurückbeleidigt wird oder was auf die Omme bekommt.
Dennoch gibt es bei aller Ablehnung sprachlicher Klugscheißerei einige wenige Regeln, die man nicht nur in Gegenwart von Kindern, sondern grundsätzlich beachten sollte, weil man sich sonst zum Deppen macht: niemals „spannend“ sagen, wenn man „interessant“ meint, niemals das Kulturpessimisten-Nullwort „Spaßkultur“ verwenden und auf keinen Fall „erinnern“ nicht-reflexiv benutzen. Letzteres klingt nämlich so was von hanseatisch-dummschnöselig, dass man darüber trübsinnig werden möchte. So ist zum Beispiel der Satz „Ich erinnere Helmut Schmidt als ein arrogantes kettenrauchendes Mufflon“ inhaltlich vollkommen korrekt, formal aber leider unhaltbar. Schade. HARTMUT EL KURDI
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