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Beton gegen die Krise

Sachverständigenrat rät: Politik soll mit 25-Milliarden-Euro-Programm die Konjunktur ankurbeln

DIE FÜNF WEISEN

Seit 1963 bewertet der Sachverständigenrat die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Die Bundesregierung lässt sich den Rat der fünf Wirtschaftsweisen jährlich rund 1,7 Millionen Euro kosten. Die Sachverständigen werden für fünf Jahre berufen. Für je einen der Posten haben Gewerkschaften und Arbeitgeber ein Vorschlagsrecht. 40 Jahre lang war das Gremium eine Domäne deutscher Männer, ehe 2004 die Schweizerin Beatrice Weder di Mauro als erste Frau berufen wurde. Vorsitzender des Rats ist Bert Rürup. Die weiteren Mitglieder sind Wolfgang Wiegard, Wolfgang Franz und Peter Bofinger. TAZ

VON BEATE WILLMS

Bis vor kurzem hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass ausgerechnet die sogenannten Wirtschaftsweisen der Bundesregierung Nachhilfe in Sachen Keynesianismus geben. Schließlich hat der Sachverständigenrat über Jahre hinweg jede direkte Form von Konjunkturförderung als unsinnig gegeißelt. Nun hat ihn die weltweite Krise eines Besseren belehrt. Am Mittwoch stellten die Experten ihr Jahresgutachten 2008/09 vor. Der Titel: „Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken“. Darin empfehlen sie, dass Bund und Länder mindestens 25 Milliarden Euro neu in die Hand nehmen, um die Folgen der Rezession abzufedern und die Wirtschaft anzukurbeln.

Denn die Sachverständigen erwarten für das kommende Jahr eine Rezession: Nachdem die Wirtschaft 2008 noch auf ein Gesamtwachstum von 1,7 Prozent komme, werde sie 2009 bestenfalls stagnieren. „Das ist ein so großer Rückgang, dass man von einer Rezession sprechen muss“, sagte Bert Rürup, der dem Rat vorsitzt. Auch die Zahl der registrierten Arbeitslosen werde steigen – von 3,27 Millionen Menschen in diesem auf 3,3 Millionen im nächsten Jahr. Dabei sei Deutschland, wo es weder eine Immobilien- noch eine Kreditblase gegeben habe, direkt kaum von der Finanzkrise betroffen. Das Problem sei der Export: Weil etwa die USA, Großbritannien und andere EU-Länder weniger importieren, dürfte der deutsche Außenhandel 2009 bestenfalls um 0,4 Prozent wachsen – nachdem die Zuwachsraten in den letzten Jahren teilweise zweistellig waren und 2007 noch bei 7,5 Prozent lagen.

Zwar prognostizieren die Experten, dass sich die Situation bereits in der zweiten Hälfte 2009 entspannt, an eine neue Aufschwungdynamik wie in den letzten Jahren glauben sie jedoch nicht. Überhaupt verweisen sie auf einen wesentlichen Unsicherheitsfaktor für ihr Szenario, nämlich die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Kreditvergabe (siehe Text unten). Sollten die Banken weniger Darlehen anbieten, würde das die Investitionen der privaten Wirtschaft weiter beeinträchtigen. Das heißt: Der Abschwung würde tiefer greifen und länger andauern.

Angesichts dieser düsteren Aussichten schätzt der Rat das von der Bundesregierung beschlossene Konjunkturpaket als grundsätzlich viel zu klein und auch falsch ausgerichtet ein. Es handle sich um „ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, das mit Konjunkturförderung nur bedingt zu tun“ habe, sagte Rürup. „Komplett kontraproduktiv“ sei vor allem die geplante Befreiung von der Kfz-Steuer. Das sei ein „Einfallstor in die Industriepolitik“.

Die Wirtschaftsweisen plädieren stattdessen für eine „konjunkturgerechte Wachstumspolitik“. Will heißen: öffentliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in den „Abbau kommunaler Infrastruktur-Mängel“ und höhere Ausgaben für die Bildung, vor allem „bei der frühkindlichen Bildung“, also beispielsweise für Kitas.

Zusätzlich schlagen die Experten aber auch steuerliche Maßnahmen vor, die ihrem bisher mehrheitlich neoklassischen Ansatz schon näher kommen – und bei den Unternehmensverbänden prompt großes Lob auslösten. So müssten „investitionshemmende Bestandteile der Unternehmensteuerreform korrigiert“ und Einkommen künftig ab dem Eingangssteuersatz „durchgängig linear progressiv besteuert werden“. Letzteres würde vor allem die oberen Mittelschichten entlasten.

Das würde auch wieder zu den „strukturellen Reformen“ passen, die die Regierung in den letzten Jahren auf Empfehlung des Rats durchgeführt hat. Ob die allerdings so erfolgreich waren, darin waren sich die Weisen nicht einig. Rürup erklärte, die Reformen hätten dazu geführt, dass die Krise Deutschland jetzt nicht so hart treffe wie andere Länder. Peter Bofinger, der auf Vorschlag der Gewerkschaften im Rat sitzt, fand diesen Zusammenhang „nicht so eindeutig und positiv“. Immerhin seien es genau diese Reformen gewesen, die die private Nachfrage in Deutschland gebremst und das Land in eine „zunehmende Abhängigkeit von der exportwirtschaftlichen Dynamik“ gedrängt hätten.

Ökonom Rudolf Hickel: „Der beste Lehrmeister ist die Tiefe der Krise“

Immerhin waren sich die Ratsmitglieder darin einig, dass das 25-Milliarden-Paket über neue Schulden finanziert werden sollte – ausnahmsweise, wie Wiegand betonte. Sobald sich die Wirtschaft wieder im Aufschwung befinde, müsse aber „umgeschichtet“ werden, etwa indem Bund und Länder ihre Ausgaben dann wieder kürzten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die das Gutachten offiziell entgegennahm, erklärte, sie werde sich die Vorschläge anschauen. Große Unterschiede in der Herangehensweise könne sie jedoch nicht erkennen.

Für die AG Alternative Wirtschaftswissenschaft, die mit ihren Memoranden seit 1975 Gegengutachten zum Sachverständigenrat verfasst, bedeutet der aktuelle Schwenk dagegen „einen großen Triumph“, wie der Ökonom Rudolf Hickel der taz sagte. „Auch wenn der beste Lehrmeister leider nicht die AG, sondern die Tiefe der Krise ist.“ Sowohl das größere Volumen als auch die stärkere Fokussierung auf staatliche Investitionen seien „völlig richtig“. Allerdings glaubt Hickel nicht an eine grundsätzliche Wende der Wirtschaftsweisen: „Ich befürchte, dass der Rat wieder in die alten Dogmen zurückfällt, sobald die schlimmste Krise überstanden ist.“

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