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vorlaufSchuld und Sühne

„Lebenslänglich – ein Mörder und seine Tat“ (22.44 Uhr, Arte)

Manchmal müssen Dokumentationen dahin gehen, wo es wehtut. Stella Tinbergen hat sich viel Zeit genommen, die Akteure des Dramas vorzustellen: den Mörder, der nach einer 22-jährigen Haftstrafe in den USA ein neues Leben begonnen hat. Und die Hinterbliebenen, die noch immer die Wunden lecken. In langen Einstellungen wird dem Entsetzen Zeit gelassen, sich frei zu entfalten.

Der Mörder hat, als junger US-Soldat, eine 16-jährige vergewaltigt und mit seiner Dienstpistole erschossen. Die Verwandten des Mädchens legen alte Fotos auf Häkeldeckchen und schildern noch einmal das Martyrium, und die Schwester sagt: „Ich weiß nicht, wie so einer mit der Tat leben kann.“ Schnitt, in die USA: Scheinbar ungerührt schildert „so einer“ den Hergang, sagt, er habe da ganz kühl kalkuliert: „Die musste weg.“ Darf der das? Darf der so selbstzufrieden rumsitzen in seinem neuen Leben, während die Opfer noch immer leiden?

Mit keiner der Parteien macht sich Tinbergen gemein. Beurteilungen des Geisteszustandes des Mörders überlässt sie seinem gerichtlichen Gutachter. Nur einmal, ein einziges Mal wagt sie den Kurzschluss: „Wissen Sie“, fragt sie aus dem Off, „wie es der Familie geht?“ Und da rollt dem Mörder eine Träne über die Wange. Schnitt: „Er spielt nur eine Rolle“, sagt der Psychiater. Schnitt: Wir sehen, wie die Schwester traurig auf den Kieselweg starrt, wo das Grab gewesen ist, es wurde eingeebnet. Die Schwester steht, lange Sekunden. Dann wendet sie sich ab und nickt kurz in die Kamera. Haben Sie’s im Kasten?

Gesten wie diese tun weh – und machen diesen Film zu einer ganz außerordentlich intensiven Studie zum Thema Schuld und Sühne. ARNO FRANK

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