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Aber bitte mit Fahne

„Wenn du mich siehst, siehst du einen Meister“: Der schwarze DJ und Rapper Afrika Islam ist Kandidat für den Grand Prix Eurovision. Sollte er gewinnen, wird Deutschland in diesem Jahr von einem Afroamerikaner vertreten, der kein Deutsch kann, aber Mitglied im Ku-Klux-Klan ist. Sagt er jedenfalls

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Es gibt Leute, die können aus jeder Sitzgelegenheit einen Liegestuhl machen. Afrika Islam ist einer von ihnen. Bei unserem Gespräch hängt er so tief in einem Sessel, dass seine Wirbelsäule sich parallel zum Fußboden befinden dürfte. Meist klebt sein Blick an der Decke, als würde er seine Antworten vom Stuck der Berliner Altbauwohnung ablesen. Bloß wenn es wirklich spannend wird, wuchtet er sich aus den Polstern und sieht seinem Gegenüber direkt in die Augen. Zum Beispiel wenn er davon erzählt, wie er für Afrika Bambaataa auf einer alten Rhythmusmaschine den Beat des HipHop-Klassikers „Planet Rock“ programmiert hat. Oder wie er für seinen Soundtrack für den Thriller „Colors“ einen Oscar bekommen hat. Dann lässt er sich wieder zurück in seinen Sessel sinken. Wenn er dann mit abgeklärtem Blick die Hände auf seinem beachtlichen Bauch verschränkt und über sein Leben sinniert, dann blickt er auf eine HipHop-Karriere zurück, die inzwischen schon ein Vierteljahrhundert dauert – und das, obwohl Afrika Islam erst 33 ist.

Doch er war nie ein Rapstar und wollte auch keiner werden, sagte er: „Ich habe immer lieber in der zweiten Reihe gestanden.“ Erst im Jahr 2004 ist er zum ersten Mal Frontmann, wird zum ersten Mal mit einem Mikrofon in der Hand auf einer Bühne stehen und selbst geschriebene Reime rappen. Und zwar bei der deutschen Vorausscheidung zum Grand Prix Eurovision.

Der soll nämlich in diesem Jahr auf internationales Niveau gehoben werden. Nachdem im vergangenen Jahr die Quoten auf einen Tiefpunkt gesackt waren, will der NDR die Veranstaltung diesmal in der Berliner Arena austragen. Statt Jack-White-Produktionen und Schunkelschnulzen soll es diesmal aktuelle Popmusik geben. Und statt Schlagersängern werden diesmal deutsche Popstars darum kämpfen, Deutschland in Istanbul vertreten zu dürfen. Neben Scooter, Sabrina Setlur und Mia wurde auch Westbam eingeladen. Der tritt zusammen mit Afrika Islam seit Ende der Neunigerjahre unter dem Pseudonym Mr. X & Mr. Y in deutschen Clubs auf. Und nun – mit dem Titel „Dancing With The Rebels“ – auch bei der Vorausscheidung. Sollten sie gewinnen, wird Deutschland in diesem Jahr von einem Afroamerikaner vertreten, der zwar kein Deutsch kann, aber dafür Mitglied im Ku-Klux-Klan ist. Sagt er jedenfalls.

Gesehen hat Afrika Islam das Schlagerspektakel noch nie, obwohl er mit Unterbrechungen vier Jahre in Deutschland gelebt hat. „Das ist doch ein Wettbewerb, oder?“, sagt er, „und darum geht es im HipHop auch: die Battle.“ Und dann, nach einer kurzen Denkpause: „Haben Abba nicht mal bei diesem Grand Prix gewonnen?“ Sonderlich beeindruckt von seiner Karriere in Old Europe wirkt er nicht gerade. Wenn man ihm zuhört, wirkt es im Gegenteil wie die logische Fortsetzung einer unvermeidlichen Entwicklung: „Als wir mit HipHop angefangen haben, haben die Leute gesagt: ‚Wo ist denn da die Melodie? Der Typ quatscht ja nur zu der Musik!‘ Diejenigen, die das gesagt haben, sind heute alle nicht mehr im Musikgeschäft. Und HipHop hat sich wie ein Krebs in der ganzen Welt verbreitet.“ 2004 war eben der europäische Schlagerwettbewerb reif für die Infektion.

Und Afrika Islam war von Anfang dabei. Als kleiner Junge erlebte er mit, wie sich auf den Block-Partys in seiner Nachbarschaft in einem der schlimmsten Ghettos der USA ein Genre entwickelte, das inzwischen zum millionenschweren Business geworden ist. Er war Mitglied der Breakdance-Gruppe Rock Steady Crew, die 1984 in dem Spielfilm “Wild Style“ auftrat. Als er mit der Gruppe auf Welttournee ging, war es das erste Mal, dass eine Hip-Hop-Show außerhalb der USA zu sehen war. Auch bei der Gründung der Zulu Nation durch den DJ Afrika Bambaataa, den er bis heute seinen Vater nennt, war er dabei. In den Achtzigerjahren zog er nach Los Angeles und produzierte Ice-T und dessen Rap-Metal-Crossover-Projekt Body Count.

Seit neun Monate wohnt Afrika Islam nun in Berlin. Er hat eine Wohnung in Charlottenburg und ist in Clubs von polar.tv bis Watergate aufgetreten. Aber vor allem ist er in die Berliner Clubs gegangen: „Ich wollte Techno verstehen, und dazu muss man Techno leben.“

Als DJ lässt er HipHop und Techno mit Verve ineinander knallen. Überhaupt: Wer Afrika Islam einmal bei der Arbeit zugesehen hat, vergisst es nicht so schnell. Kaum zu glauben, wie sich diese kugelrunde Inkarnation von Relaxtheit dann zu einer gummiballartigen Wendigkeit aufschwingt. Wer glaubt, die Aufgabe eines Diskjockeys bestünde darin, Musikstücke so saumlos wie möglich ineinander laufen zu lassen, wird von ihm eines Besseren belehrt: Afrika Islam arbeitet mit seinen Schallplatten, als wären sie Knetmasse, die er mit seinen Händen in jede beliebige Form bringen kann.

Bei ihm hat Auflegen mit Artistik zu tun: Hier ein Scratchen, da ein abruptes Abbremsen der Platte, dann lässt er die Nadel in der Rille ihren eigenen Beat stottern. Dabei fährt er sich wie ein Chefkoch mit der Zunge über die Oberlippe, bevor er die Augen zusammenkneift, um fix die nächste, richtige Rille sucht. Blitzschnell fliegen die Platten auf den Plattenteller und wieder herunter, und HipHop-Stücke krachen in Techno.

Für einen schwarzen HipHopper aus den USA ist das eigentlich ein Tabu. Obwohl sich Techno aus dem HipHop-Ableger Electro entwickelt hat, hat der Stil in den USA bis heute keine Fans gefunden. „Wenn meine Freunde in den USA hören, dass ich in Europa Techno auflege, sagen sie nur: ‚Was? Diese Ecstasyscheiße?‘ “

Afrika Islam kann es dagegen gar nicht eklektisch genug sein: „Ich arbeite gerade an einem Geheimprojekt: The Machine. Da machen unter anderem mit: Flea von den Red Hot Chili Peppers, Trent Razor von Nine Inch Nails, Ice T, Keith LeBlanc und Doug Wimbish, die früher die Musik für die Sugarhill-Platten gemacht haben. Ich will ‚The Message‘, ‚Planet Rock‘ und ‚Colors‘ neu aufnehmen.“

In Berlin hat er ein zweites Geheimprojekt: Zusammen mit den beiden DJ-Veteranen Tyree Cooper und Eric D. Clark tritt er unter dem Namen Three Black Pimps auf. „Wenn du uns siehst, siehst du richtige Meister“, sagt Afrika Islam und sitzt wieder für einen Augenblick aufrecht in seinen Sessel. „Wir sind als DJs, was Bruce Lee im Kung Fu war.“ Spricht’s und sinkt wieder in seinem Sessel zusammen.

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