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Gedruckte Bombe

Wer ist Herr Putin? Die russische Journalistin Jelena Tregubowa brüskierte den Kreml mit einem Enthüllungsbuch – nun muss sie um ihr Leben bangen

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Im Haus der Journalistin Jelena Tregubowa ist am Montag in Moskau eine Bombe mit einer Sprengkraft von 50 bis 100 Gramm TNT detoniert. Der Sprengsatz war an der Tür einer leer stehenden Nachbarswohnung auf der gleichen Etage angebracht. Tregubowa ist Anfang 30 und gehörte jahrelang zum handverlesenen Pool jener Journalisten, die in das Allerheiligste des Kreml vorgelassen wurden.

Die große Blonde war nicht nur die jüngste, sondern im Winter vor drei Jahren auch die erste Berichterstatterin, der die Akkreditierung für den Tempelbezirk entzogen wurde. Die Gleichschaltung der Presse unter Putin zeichnete sich bereits ab. Eigenständigkeit hat wieder etwas Bedrohliches.

„Für mich ist Journalismus kein Brotberuf“, bekennt Tregubowa, „eher eine Mission. Und eine freie Presse ist kein Luxusartikel, sondern Garantie einer freien Gesellschaft.“

Nach der Vertreibung aus dem Kreml blieb sie bei ihrer Zeitung Kommersant. Mit den „Fabeln eines Kreml-Gräbers“ legte sie im Spätherbst letzten Jahres eine süffisante Sammlung privater Randnotizen vor, die Leidenschaften und Eitelkeiten, Hybris und Servilität, Zynismus und schlechte Kinderstube der Repräsentanten der Macht aufs Korn nimmt. „Gräber“ sind in Russland nicht nur Goldgräber, sondern Wesen, die sich in der Kanalisation der Hauptstadt zu Hause fühlen. Klar wird: Demokratie, Recht und Freiheit sind bei der jetzigen Elite in denkbar schlechten Händen.

Aber sie plaudert auch Intimitäten aus, ihr vertraulich informelles Verhältnis zum jetzigen Staatsoberhaupt etwa, das sogar Jelenas Vater mutmaßen ließ, die beiden würden mehr als nur die Leidenschaft für Sushi teilen. Dass sie so lange brauchte, um sich das Erlebte von der Seele zu schreiben, hat gleichwohl noch einen anderen Grund: Die Nähe zur Macht wirkte wie eine Droge, die Ferne erzeugte qualvolle Suchterscheinungen.

Sich aus eigener Kraft aus der Abhängigkeit zu lösen, das hätte sie wohl nicht geschafft. Heute ist sie dankbar, aus der Welt der Speichellecker im Kreml ausgeschlossen worden zu sein. Irgendwann hätte auch sie die Logik der Macht zu ihrer eigenen gemacht.

Schließlich musste sie mit ansehen, wie sich Heerscharen von gestandenen Journalisten mit und ohne königliche Tafelrunden in die verordnete Selbstzensur fügten. Bei älteren Kollegen kämen sowjetische Angstreflexe wieder hoch, die jüngeren ließen sich einfach kaufen.

Die Veröffentlichung kostete sie ihren Job bei Kommersant, ein Beitrag im TV-Politikmagazin „Namedni“ wurde in letzter Minute abgesetzt. Kein Wunder, die Schilderungen der empathischen Fähigkeiten des Präsidenten, der Wünsche und Erwartungen des Gesprächspartners mimisch deckungsgleich imitieren könne, löst das lang gehütete Geheimnis: Wer ist Herr Putin?

Das Mienenspiel des Kremlherrn erwecke bei Staatsbesuchen den Eindruck, man sehe Bush oder Schröder gleich doppelt. Eine raffinierte Mimikry, meint Tregubowa, bei der der Präsident gleichsam mit der Tapete des Arbeitszimmers verschmelze und den Anwesenden den Eindruck vermittle, gar nicht da zu sein.

Presseminister Michail Lesin ließ Jelena bei der Kündigung durch den Chefredakteur des Kommersant mitteilen, in Moskau werde sie als Journalistin keinen Job mehr finden. Der Minister, „ein Mensch mit dem liebenswürdigen Gesicht eines Kindermörders“, hat sich als Exekutor der freien Presse bereits in die Analen der russischen Zensur eingeschrieben.

Die Nowaja Gaseta, eine der wenigen unabhängigen Zeitungen, bot ihr dennoch sofort eine Stelle an, in sicherer Entfernung von der Macht.

Sichere Entfernung? Ihr Buch ist inzwischen ein Bestseller (150.000 Auflage) und die Tatsache, dass es noch nicht auf dem Index steht, ein Rätsel.

Kein Rätsel ist die Bombe. „Ich hatte gerade ein Taxi bestellt und war im Begriff, die Wohnung zu verlassen“, sagte sie. Die Ermittlungsbehörden halten den Anschlag für einen Streich jugendlicher Hooligans.

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