: Hilfe als Machtfrage
Ohne Rückendeckung Russlands, Chinas und Frankreichs ist fraglich, ob Annan standhaft bleibt
aus Genf ANDREAS ZUMACH
Die USA versuchen mit einer Kampagne der Einschüchterung andere Staaten davon abzuhalten, im UN-Sicherheitsrat oder in der Generalversammlung eine Resolution einzubringen, mit der die Völkerrechtswidrigkeit des Irakkrieges festgestellt wird. Bereits vor Kriegsbeginn hatte Washington durch politische Interventionen in zahlreichen Haupstädten die Einberufung einer Sondersitzung der UN-Generalversammlung zum Thema Irak vereitelt. Der Sicherheitsrat will heute die Diskussion über eine Resolution zur humanitären Hilfe für die irakische Zivilbevölkerung wieder aufnehmen.
Condoleezza Rice, die Sicherheitsberaterin von George W. Bush, hatte in einem Gespräch mit UNO-Generalsekretär Kofi Annan am Dienstag zunächst vergeblich versucht, der UNO die Vorstellungen Washingtons über die Finanzierung, die operative Umsetzung sowie die politische Kontrolle der Hilfe wie der Maßnahmen für den Wiederaufbau Iraks aufzudrängen.
Mit einer ebenfalls von Rice formulierten Demarche haben die Botschafter der USA in zahlreichen Hauptstädten in denTagen vor Kriegsbeginn davor gewarnt, die Generalversammlung mit demThema Irak zu befassen. Wörtlich heißt es in der Demarche, die der taz vorliegt: „Einige Mitglieder der UNO erwägen den Antrag auf Einberufung der Generalversammlung. Wir fordern Sie auf, diesen Antrag abzulehnen oder sich zu enthalten. Die USA empfinden eine Sitzung der Generalversammlung zum Thema Irak als nicht hilfreich und als gegen die USA gerichtet.“
Adressaten der Demarche waren unter anderem Südafrika und Malaysia, die Führungsnationen der Bewegung der Blockfreien Staaten, zu der 139 der 191 Mitglieder der UNO-Generalversammlung gehören. Sie hatten gemeinsam mit weiteren Ländern erwogen, unter Hinweis auf den in der Irakfrage blockierten und handlungsunfähigen Sicherheitsrat eine Sitzung der Generalversammlung zu beantragen. Dort wollten sie eine Resolution zur Abstimmung vorlegen, in der ein Krieg abgelehnt und die friedliche Entwaffnung Iraks durch ein intensiviertes UNO-Inspektionsregime gefordert worden wäre. Ein solcher Resolutionstext hätte die Zustimmung von über 90 Prozent der Mitglieder der Generalversammlung gefunden.
Seit Kriegsbeginn haben die USA mit einer erneuten Demarche in zahlreichen Hauptstädten verhindert, dass im Sicherheitsrat oder in der Generalversammlung ein von den Staaten der Arabischen Liga (außer Kuwait) formulierter und von vielen weiteren Ländern mitgetragener Resolutionsentwurf zur Abstimmung eingebracht wird, der die Völkerrechtswidrigkeit des Krieges feststellt. Die Einbringung sollte ursprünglich während der offenen Debatte des Sicherheitsrates am Mittwoch erfolgen, an der sich 72 UNO-Staaten beteiligten. Unter den Mitgliedern des Sicherheitsrates hatte unter anderen Chile Unterstützung für den Resolutionsentwurf bekundet. Nach massivem Druck aus Washington zog die chilenische Regierung ihre Unterstützung aber wieder zurück.
Hinsichtlich der humanitären Hilfe für die irakische Zivilbevölkerung konnte sich der Sicherheitsrat am Mittwoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Die USA und Großbritannien lehnen es ab, die Kosten für die Hilfsmaßnahmen zu übernehmen – wozu sie als Verursacher des Krieges laut Völkerrecht verpflichtet wären, wie UNO-Generalsekretär Annan in der offenen Debatte des Sicherheitsrates erneut feststellte.
Nach der Vorstellung Washingtons und Londons sollen die amerikanischen und britischen Streitkräfte die Anlieferung und Verteilung der humanitären Hilfe im Irak übernehmen – in der Erwartung, dass diese Rolle den beiden Aggressoren Sympathien bei der Zivilbevölkerung schafft. Ein entsprechender Auftrag an die USA und Großbritannien soll in einer Resolution des Sicherheitsrates erteilt werden. Eine solche Konstruktion, bei der die UNO keinerlei Einfluss hätte, soll, so das Kalkül in Washington und London, es anderen Staaten erleichtern, sich an der Finanzierung der humanitären Maßnahmen zu beteiligen.
Eine entsprechende Aufgaben- und Rollenverteilung wollen die Regierungen Bush und Blair auch mit Blick auf die Maßnahmen zum Wiederaufbau Iraks sowie der Verwaltung des Landes nach Ende des Krieges durchsetzen. „Condoleezza Rice war offensichtlich der irrigen Annahme, Kofi Annan diese Vorstellungen diktieren zu können“, heißt es in einem internen Bericht über das Gespräch zwischen dem UNO-Generalsekretär und Bushs Sicherheitsberaterin, der der taz vorliegt. Doch Annan habe „Rückgrat bewiesen gegen den Versuch der USA und Großbritanniens, sich de facto eine nachträgliche Legitimierung ihres Krieges durch die UNO zu verschaffen“. Dem Generalsekretär sei allerdings „bewusst, dass er diese Haltung ohne Rückendeckung Russlands, Chinas und Frankreichs nicht durchhalten kann“, heißt es in dem internen Bericht.
Zumindest öffentlich hatten die drei ständigen Mitglieder des Rates diese Rückendeckung bis gestern bekundet. In der Frage der Finanzierung der humanitären Hilfe versucht der Generalsekretär angesichts des zunehmend dringenderen Bedarfs alle Optionen offenzuhalten. Die von Washington verlangte Verwendung der rund sechs Milliarden US-Dollar, die derzeit auf dem Konto des UNO-Programms „Öl für Nahrungsmittel“ liegen, schloss Annan trotz erheblicher völkerrechtlicher Bedenken nicht ausdrücklich aus. Zugleich lancierte er einen Spendenappell an alle UNO-Mitglieder in Höhe von 2,1 Milliarden Dollar, der heute vom Sicherheitsrat abgesegnet werden soll.
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