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Leyla Zana steht erneut vor Gericht

Die ehemalige kurdische Parlamentsabgeordnete und drei ihrer Mitstreiter sitzen seit neuen Jahren wegen „Kollaboration mit der PKK“ in Haft. Jetzt wird der Prozess in Ankara neu aufgerollt. Beobachter sehen gute Chancen für eine Freilassung

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Gestern begann in Ankara die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Leyla Zana, eine der bekanntesten kurdischen Gefangenen in der Türkei. Mit Leyla Zana sind drei weitere ehemalige kurdische Abgeordnete, Hatip Dicle, Orhan Dogan und Selim Sadek, angeklagt. Der Prozess nimmt ein Verfahrens von 1994 wieder auf, das auf Antrag der Angeklagten stattfindet, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das erste Verfahren als „unfair“ gerügt hatte.

Die Angeklagten waren im ersten Prozess wegen „Kollaboration mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK“ zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, nachdem die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe beantragt hatte. Der Prozess hatte für große Aufmerksamkeit gesorgt, weil die Angeklagten Abgeordnete im türkischen Parlament waren und offensichtlich nicht am bewaffneten Kampf der PKK teilnahmen.

Die vier Angeklagten waren mit weiteren vier Kurden als unabhängige Kandidaten auf der Liste der Sozialdemokraten ins Parlament gekommen. Leyla Zana wurde unter anderem zum Vorwurf gemacht, dass sie ihren Eid im Parlament in kurdischer Sprache ablegen wollte.

Leyla Zana ist eine Ikone des kurdischen Widerstands in der Türkei. Sie war mit einem früheren Bürgermeister von Diyarbakir, Mehti Zana, verheiratet und hat stets für die Rechte der Kurden gekämpft. 1995 bekam sie vom Europäischen Parlament den Sacharow-Menschenrechtspreis verliehen. Seitdem haben vor allem Abgeordnete des Europäischen Parlaments (EP) sich um sie gekümmert.

Zum Prozess jetzt sind daher auch zwei Beobachter des EP angereist. Der Anwalt von Zana, Yusuf Alatas, wurde jedoch in den Medien gestern mit dem Statement zitiert, man wolle keine politische Show, die Umstände hätten sich seit 1994 sehr verändert. Die Wiederholung des Prozesses findet wieder vor demselben Staatssicherheitsgericht in Ankara statt, wie 1994. Allerdings gibt es seit einer Reform vor vier Jahren dort keine Militärrichter mehr. Die Anwesenheit von Militärrichtern war vom Menschenrechtsgerichtshof auch in anderen Verfahren gerügt worden. Von ihrer Strafe haben die vier ehemaligen Abgeordneten mittlerweile neun Jahre abgesessen. Ein Angebot, sie aus gesundheitlichen Gründen freizulassen, das die damalige Regierung auf Druck aus der EU gemacht hatte, hatte Leyla Zana 1997 abgelehnt.

Die Angeklagten bekräftigten in ihren Stellungnahmen gestern, dass sie 1994 unfair behandelt worden waren. „Keine politischen Gefangenen waren in der Türkei länger im Gefängnis als wir“, sagte Hatip Dicle und forderte die Freilassung. Beobachter gehen davon aus, dass das Gericht die Strafe so weit reduzieren wird, dass die Gefangenen auf Bewährung entlassen werden können.

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