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Die Stunde der Exekutive

In Zeiten von Angst und Verunsicherung ist erfahrungsgemäß Führung gefragt. Junge Pazifisten feiern den Kanzler als ihr Idol

Die moralische Überlegenheit der deutschen Haltung wird schwinden

von DIETER RULFF

Die Vereinigten Staaten von Amerika führen Krieg, und Deutschland fühlt sich im Recht. Und je länger Amerika Krieg führt, desto mehr fühlt sich Deutschland im Recht. Hatte man doch frühzeitig und immer wieder auf die Risiken eines militärischen Vorgehens hingewiesen. Das sagt nun natürlich keiner – zumindest nicht laut. Auch der Bundeskanzler versagt sich solche Rechthaberei. Als die ersten Bomben auf Bagdad fielen, markierte er die transatlantische Differenz mit den Worten, dass sich damit die Logik des Krieges gegen die Chancen des Friedens durchgesetzt hätte. Seine Folgerung, dass tausende von Menschen darunter schrecklich zu leiden haben, findet seitdem in den täglichen Fernsehübertragungen ihre Bestätigung.

Deshalb stehen so viele Menschen in Deutschland hinter ihm. Noch vor wenigen Monaten wurden die Bürger wegen der Steuerreformvorhaben gegen die Bundesregierung auf die Barrikaden gerufen, doch nun stehen sie gemeinsam auf der Barrikade, und es herrscht eine Geschlossenheit, wie sie Schröder zuletzt als Juso-Vorsitzender bei seinem Besuch der freien Republik Wendland im Frühjahr 1980 verspürt haben dürfte. Der Bundeskanzler bewege sich mehr wie ein Demonstrationsführer als wie ein Staatsmann, mäkelt der Soziologe Ralf Dahrendorf und benennt damit präzise, was den Deutschen an ihrem Bundeskanzler derzeit so gefällt. Seine demoskopischen Werte steigen wieder.

Die Neue Mitte, mit der Schröder seine erste Wahl gewann und die sich zwischenzeitlich enttäuscht von ihm abgewandt hatte – auf den Montagsdemonstrationen in Leipzig, bei den Kundgebungen am Brandenburger Tor hat er sie wieder getroffen. Die junge Generation, die wegen der Rentenpolitik schon längst ein Betrugsverfahren gegen seine Regierung hätte einleiten müssen, feiert ihn als ihr Idol: „Dranbleiben, Ché Guerhard“. Ein alle Wohlstandgefälle und Gerechtigkeitslücken überbrückender Konsens wird durch den Nenner Georg W. Bush gebildet. Der Widerwille gegen den US-Präsidenten bringt Armani und Attac, Grass und Gauweiler zusammen. Kein Zweifel, hinter den Transparenten mit der weißen Friedenstaube macht sich eine neue Stärke breit, von der sich zwar noch nicht so genau sagen lässt, wohin sie führt, wohl aber, was sie hinter sich lässt.

Innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne ist diese Regierung aus den Schatten der früheren Schutzmacht USA getreten und hat dem korporatistischen deutschen Sozialstaat eine Remedur verordnet. Damit verschwinden zwei Pfeiler, auf welchen das Deutschland der Nachkriegszeit ruhte. Die Bonner Republik ist nunmehr Geschichte.

Die Gesellschaft steht am Anfang eines tief greifenden Wandels, der Verunsicherung auslöst und Ängste freisetzt. Die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen ist mittlerweile gewachsen, doch es gibt keine Gewissheit, wohin die Reise geht. In solchen Situationen ist erfahrungsgemäß Führung gefragt. Es ist die Stunde der Exekutive.

Diese Führung hat Gerhard Schröder in der Auseinandersetzung um die Irakpolitik gezeigt. Er hat die Opposition gegen die US-Politik aufgebaut, als sich die Bevölkerung kaum mit dem amerikanischen Vorgehen befasste, ja noch bevor sich die US-Regierung selbst über ihren Kurs im Klaren war.

Er hat damit den historischen Beweis geliefert, dass sich die Theorie von Standbein und Spielbein auch umdrehen lässt. Er hat eine Friedensbewegung ins Leben gerufen, die sich von ihren Vorläuferinnnen in einem Punkt unterscheidet: Sie steht nicht gegen, sondern im Einklang mit dem nationalen Interesse. Das begründet ihre Breite, aber auch ihre fehlende Eigenständigkeit.

Der Protest gegen das amerikanisch-britische Vorgehen im Irak ist mehr als nur die vehemente Ablehnung einer als falsch empfundenen Politik. In der Einhelligkeit manifestiert sich auch ein Gefühl der Gemeinsamkeit einer ansonsten vielfach zerrissenen Gesellschaft. Die Regierung wird versuchen, dieses Gefühl zu bewahren und den Rückhalt, den sie in der Außenpolitik spürt, auf ihre Reformpolitik zu übertragen.

Der Widerwille gegen Bush bringt Armani und Attac, Grass und Gauweiler zusammen

Doch dieser Rückhalt kann schnell bröckeln, denn er ist erkauft mit einer Prinzipienfestigkeit, die sich nicht mehr aufrechterhalten lässt, sobald Deutschland die passive Warte des Veto-spielers wieder verlässt. Als Gerhard Schröder beklagte, dass sich die Logik des Krieges durchgesetzt habe, hat er damit auch die Geschäftsgrundlage seines künftigen Handelns beschrieben.

Schon die Entwaffnung Saddam Husseins hätte nimmer so friedlich erfolgen können, wie die Bundesregierung suggerierte. Wie die Waffeninspektoren nun bestätigen, war das Veto gegen den alliierten Aufmarsch, auf dem Schröders Zustimmung in der Bevölkerung beruhte, der Bereitschaft des Diktators zur Zusammenarbeit mit dem Kontrollregime äußerst abträglich. Entgegen allen Forderungen der Friedensdemonstranten wird es ein Zurück zum Status quo ante nicht geben. Auch der Bundesregierung wird nun an einem Sieg der Kriegskoalition im Irak gelegen sein. Denn ein Rückzug würde nicht nur einen folgenschweren Triumph des irakischen Diktators bedeuten und ein Aufleben antiwestlicher Kräfte befördern, sondern er würde vor allem Amerikas Rolle als Ordnungsmacht in der Region nachhaltig schädigen. Beides widerspräche fundamental deutschen und europäischen Interessen.

Gerade wenn die Auseinandersetzungen in und um den Irak sich verschärfen, wird Deutschland nicht mehr abseits stehen können. Um die Situation im Nahen Osten, aber auch um das transatlantische Verhältnis wieder zu stabilisieren, wird sich die Bundesregierung früher oder später an einer Befriedung und einem Wiederaufbau des Iraks beteiligen. Mit allen Risiken, die das bedeutet. Und mit allem Widerspruch, den das hierzulande hervorrufen wird. Bereits jetzt sieht die Bundesregierung im Ausbau des eigenen Militärpotenzials eine notwendige Antwort auf den amerikanischen Unilateralismus. Da sich die Friedensbewegung zwar viele Gedanken über die Motive von Bush, aber kaum welche über den Zusammenhang von militärischer Logik und politischen Lösungen macht, da sie sich zwar viel mit Fragen der Moral, aber wenig mit solchen der Macht beschäftigt, wird sie darauf wie immer enttäuscht reagieren.

Deshalb wird sich der augenblicklich so tief erscheinende Gegensatz zwischen Deutschland und den USA wieder verringern. Und sollten die US-Truppen den Nachweis von ABC-Waffen im Irak liefern, wird auch die moralische Überlegenheit der deutschen Haltung schwinden. Der Gegensatz zwischen Regierung und Pazifisten indes wird wieder wachsen, und die Friedensbewegung wird wieder schwinden – bis zur nächsten Gelegenheit.

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