: Fliegen lernen mit dem Teufel
In welcher Welt wir leben, ist stets eine Frage der Verabredung. Geschichten von der Grausamkeit der Norm thematisieren gleich zwei neue Inszenierungen: „Die Kinder des Teufels“ im Carrousel-Theater, „Die Jungs von nebenan“ im Theater Strahl
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Je mehr man sie prügelt, desto höher schlagen die Flammen ihrer Fantasie. Je mehr man sie zwackt, mit glühenden Zangen, desto schneller schwärmen sie vom Teufel und wie er sie fliegen lehrt. Je länger sie im Gefängnis liegen, verhungert fast und in der eigenen Scheiße, desto höher wachsen die Bratwurstberge, die der Leibhaftige ihnen verspricht. „Die Kinder des Teufels“, da lässt das Theaterstück von Felix Mitterer keinen Zweifel, sind ein Produkt der Not und des Zwangs.
Der Text, den der österreichische Autor basierend auf Prozessakten des 17. Jahrhunderts über die Hexenverfolgung in Salzburg geschrieben hat, leuchtet die Logik eines Systems aus, das hervorbringt, was es fürchtet: Unter den Fragen des Hofrates und dem Kettenklirren der Folterknechte nehmen die Bündnisse mit dem Teufel Gestalt an.
„Die Kinder des Teufels“, 1989 uraufgeführt, sind harter Stoff und werden wohl deshalb, allem Lob des Autors zum Trotz, nicht oft inszeniert. Das Stück setzt der Dramaturgie des Prozesses, der steten Steigerung des Schreckens, keine Auflösung entgegen. Die Inszenierung, die der Regisseur Manuel Schöbel jetzt im Carrousel-Theater auf die Bühne gebracht hat, vertraut dem Text dennoch und zu Recht. Strengt eure Köpfe an, verlangt das Stück und seht: Die Kinder, von denen wir hier erzählen, hätten so gern ihre Köpfe mehr benutzt und konnten meist nicht mal ihren Namen schreiben.
Zur ersten Vorstellung für Kinder, montagmorgens um 10, sind 7. und 10. Klassen eingeladen. Ganze Gruppen von Schülerzeitungsrezensenten sitzen in den oberen Reihen und sorgen sich in der Pause: Ob das Stück wohl noch mal runterkommt von diesem Szenarium der Angst? Was schreiben sie bloß zur Sprache, die mit Begriffen wie Abdecker, Stadtschmeißer und brunzen öfters auch das Unverständliche riskiert. Vor allem aber: Ob das nicht viel zu grausam ist für die Jüngeren? Ich aber denke mir, wer freiwillig zu „Harry Potter“ ins Kino geht, kann ruhig mal aus anderer Perspektive sehen, wie wenig lustig das Leben von Hexen und Zauberern am Beginn der Neuzeit war.
Der inquisitorische Hofrat (Marko Bräutigam) und sein Schreiber Finsterwalder (Marcus Staiger) sind nicht einfach böse, sondern von einer eigenartigen Rationalität durchdrungen: „Die Leute können doch nicht mehr arbeiten, wenn man ihnen die Gliedmaßen entfernt.“ Als Diener eines modernen Staates wollen sie die soziale Ordnung aufrechterhalten und da passen die vagabundierenden Kinderbanden, die von Land zu Land abgeschoben werden, nicht hinein. Für die Armen der eigenen Stadt Salzburg wolle man ja zahlen, aber, das quält den Hofrat, wie wird man die los, die aus den kriegsverwüsteten Ländern nun in die Stadt strömen. Gegen Ende haben sich die Inquisitoren selbst aufgerieben, zerstreiten sich, aus welcher Kasse das Holz für den Scheiterhaufen bezahlt wird und welche Form der Hinrichtung am kostengünstigsten ist. Möglichst wenig Belastung für die öffentlichen Kassen – das ist der Gipfelpunkt ihres Zynismus, der schöne Parallelen in die Gegenwart öffnet.
Auf der anderen Seite blühen die Träumen der befragten Kinder immer üppiger. In ihren Geständnissen, was sie getan haben im Bund mit dem Jackl, dem Zauberer, entwickeln sie Bilder der Rache an denen, die sie verspottet haben, ausgestoßen als verkrüppelt, untauglich, arbeitsunwillig und krank. Bis sie sich gar in einen parodistischen Rausch dessen hineinsteigern, was die Fragen ihnen suggerieren: Wie er 20 Kühen je 5-mal und 300 Geißen je 1-mal zugehalten habe, gibt Michel an. Dem Schreiber fallen fast die Hände ab.
Um das Hinterfragen der Norm und danach, woher die Definitionsmacht über die Normalität eigentlich kommt, geht es auch in einem zweiten Stück, das letzte Woche Premiere hatte. Das Theater Strahl führt „Die Jungs von nebenan“ des englischen Autors Tom Griffin auf. Auch dieses Stück liefert Stoff zur Diskussion um Toleranz und den Umgang mit dem Fremden, ohne zu simplifizieren oder Vorschläge der Lösung anzubieten. Aber die Perspektive ist eine ganz andere.
„Die Jungs von nebenan“ spielt in einer sozialtherapeutisch betreuten Wohngemeinschaft. Da lebt zum Beispiel Julian B. Schmidt, der mit Begeisterung jedem Besucher seinen grünen Bibliotheksausweis entgegenhält, weil da sein Name draufsteht. Er liebt Bücher, ganz besonders dicke, und leiht sich die landwirtschaftlichen Jahrbücher 1964–1969 aus. „Die sind schwer.“ Auf jeder Seite findet er die Buchstaben des ABCs. Etwas Schweres zu leisten, um endlich die Anerkennung seines Vaters zu bekommen, ist auch der Ehrgeiz von Guido, der nie ohne das Manager-Magazin und eine Golftasche zu sehen ist. Er jobbt als Golflehrer – oder glaubt er das nur?
In der Regie von Günter Jankowiak taucht das Theater Strahl liebevoll in den Text ein. Sprachwitz und kleine Bedeutungsverschiebungen ziehen die Zuschauer nach und nach immer mehr in die eigenartige Logik der Figuren hinein. Arnold, der sich nichts merken kann, hat 20 Packungen Cornflakes und eine Tüte Hasenstreu gekauft, denn kaufen wollte er auf jeden Fall, nur was, war nicht mehr klar. Seit die Tüte Hasenstreu im Haus ist, sucht Julian B. Schmidt das Häschen. So zeugt sich ihre Insider-Welt fort und nur die Brückenstege nach außen werden immer schmaler.
Die Jungs vom Theater Strahl spielen dies mit großer Lust am solidarischen Gespinst: Denn in welcher Welt wir leben, ist ja stets nur eine Frage der Verabredung. Zu viert kämen sie durch, aber der Konfrontation mit den Vorstellungen von Arbeitgebern, Senatskommissionen und Familienmitgliedern sind ihre fragilen Konstruktionen nicht gewachsen. So ist „Die Jungs von nebenan“ auch ein trauriges Stück, das dem Zerfall dieser Gemeinschaft langsam zusieht.
Beide Stücke verlangen viel von ihrem Publikum. Sie sind nicht, wie andere Produktionen beider Ensembles, auf die Probleme Jugendlicher zugeschnitten. Aber gerade in ihrer nach Forderung nach Empathie, in ihrer Neugierde auf Leben jenseits der eigenen Gegenwart liegt auch ihr Potenzial.
„Die Kinder des Teufels“, Carrousel-Theater, ab 28. April, Info-Tel.: 55 77 52 52. „Die Jungs von nebenan“, 8./9./10. April, 11 Uhr, in der Weißen Rose, Info-Tel.: 69 59 92 22.
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