: Mildtätige Wirtschaftsförderung
AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN
Auf der Liste der Lieblingsthemen von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) steht der Schuldenerlass ganz oben. Wo immer sich die Gelegenheit bietet, erklärt die SPD-Politikerin, dass die Last aus wachsenden Schuldenbergen so manches Entwicklungsland erdrücke. Denn: Statt in Schulen und Krankenhäuser steckten arme Länder ihr Geld in Zins- und Tilgungszahlungen.
Ein Land jedoch konnte das Herz der fürs Gute engagierten Ministerin lange nicht erweichen: der Irak. Durch seine Ölquellen sei der Golfstaat mittelfristig in der Lage, „sich selbst voranzubringen“, sagte Wieczorek-Zeul noch im Herbst vergangenen Jahres. Einen Schuldenerlass lehne sie deshalb ab. In dem nicht gerade üppig ausgestatteten Entwicklungsministerium in Bonn fürchtet man offenbar, die Regierung könne Gelder für den Irak abziehen, die besser für die Armutsbekämpfung in den wirklichen armen Teilen der Welt verwendet würden. Bereits auf der Frühjahrstagung der Weltbank im April vergangenen Jahres hatte Wieczorek-Zeul daher klar gemacht: Geld für den Irak, und sei es in Form eines Schuldenerlasses, müsse immer zusätzliches Geld sein.
Plötzlicher Sinneswandel der Bundesregierung
Neue Ausgaben lehnt Finanzminister Hans Eichel (SPD) allerdings strikt ab. Auch in dessen Ressort vertrat man noch Ende 2003 den Standpunkt, „für einen Schuldenerlass gibt es keinen sachlichen Grund“. Noch nie seien einem arabischen Ölförderland die Schulden erlassen worden. So beschränkte sich Deutschland auf ein Schuldenmoratorium bis Ende 2004, wie es im Pariser Club vereinbart worden war – jener Versammlung aus Gläubigerstaaten, die über Umschuldungen, Erlasse und Stundungen entscheidet.
Mittlerweile allerdings wird Wieczoreck-Zeul gezwungen, ihre Position zu ändern: Gestern Abend begann in Boca Raton im US-Bundesstaat Florida das Finanzministertreffen der sieben wichtigsten westlichen Wirtschaftsnationen. Zur Diskussion steht dabei auch die Zukunft der irakischen Schulden. Vor einigen Monaten bereits hat in der Bundesregierung ein Sinneswandel eingesetzt. Eingeläutet hat ihn der Bundeskanzler. Der schloss kurz nach der Irak-Geberkonferenz Ende Oktober in Madrid erstmals einen zumindest teilweisen Schuldenerlass nicht mehr aus. Bekräftigt wurde Schröders zögerliches Ja, als Mitte Dezember recht spontan Besuch aus Washington in Berlin eintraf. James Baker, bekannt als Mann für unangenehme Aufgaben, kam im Auftrag von US-Präsident George W. Bush. Seine Mission: die Gläubiger des Iraks zu einem Schuldenerlass zu bewegen und den Aufbau eines Landes zu beschleunigen, dessen Kontrolle den amerikanischen Besatzern aus der Hand zu gleiten droht.
Gerhard Schröder sagte James Baker denn auch prompt einen „substanziellen Schuldenerlass“ zu. Ähnlich hatte zuvor die französische Regierung auf den Besuch aus Washington reagiert. Beide Regierungen hoffen, vielleicht doch noch am Wiederaufbau des Irak beteiligt zu werden. Dies hatte Bush zwar kurz nach dem Baker-Besuch noch ausgeschlossen. Anfang Januar jedoch gab das Weiße Haus bekannt, möglicherweise würden doch auch Firmen aus Staaten berücksichtigt, die zu einem Schuldenerlass bereit sind.
Ohne Schuldenerlass keine Aufträge für Firmen?
Von einem solchen Junktim will die Bundesregierung nichts wissen: „Es steht noch überhaupt nichts fest, wir verhandeln im März mit den anderen Gläubigern über einen Schuldenerlass“, heißt es im Kanzleramt. Auch das Finanzministerium verweist auf Anfrage auf den Pariser Club, der sich das nächste Mal im März trifft. Im Übrigen könne man erst Entscheidungen treffen, wenn es im Irak „so etwas wie eine Regierung gibt“.
Konkret geht es um rund 2,5 Milliarden Dollar, die der Irak der Bundesregierung schuldet. Hinzu kommen weitere 2 Milliarden aufgelaufene Zinsen. Gut 1 Milliarde sind Forderungen aus so genannten Hermes-Bürgschaften, Exportgeschäften also, für die die Bundesregierung bürgt. 700 Millionen stammen aus Geschäften zwischen dem Irak und der damaligen DDR. Der Rest sind Schulden aus anderen Handelsgeschäften. Insgesamt hat der Irak Auslandsschulden in Höhe von 383 Milliarden Dollar. Davon sind laut Internationalem Währungsfond (IWF) 120 Milliarden Forderungen aus Krediten an das Hussein-Regime.
Irak kann die Milliarden nicht zurückzahlen
Hinzu kommen Schulden aus nicht erfüllten Handelsverträgen, schätzungsweise rund 200 Milliarden Dollar an Reparationszahlungen aus der Kuwait-Invasion 1991 – und Verzugszinsen. Die allein liegen schon bei 47 Milliarden Dollar, weil der Irak in den 90er-Jahren, selbst bei bestem Willen, unter dem UN-Programm „Öl für Lebensmittel“ gar nicht in der Lage gewesen wäre, Zinsen zu zahlen. 383 Milliarden – das ist, je nach Berechnung, das 12- bis 17fache des gesamten Volkseinkommens des Irak von 2003. Zum Vergleich: Beim derzeit zahlungsunfähigen Argentinien sind die Auslandsschulden „nur“ in etwa so hoch wie das Volkseinkommen, auch Bruttoinlandsprodukt (BIP) genannt. Oder: Für die EU-Staaten gilt die Maastricht-Regel, dass der gesamte Schuldenstand eines Landes nicht höher als bei 60 Prozent des BIP liegen darf.
Für die Kampagne „Erlassjahr.de“, die sich seit Mitte der 90er-Jahre für die Entschuldung von Entwicklungsländern einsetzt, ist der Schuldenberg damit eindeutig zu hoch. „Diese gewaltige Auslandsschuld steht in einem absurden Missverhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des kriegszerstörten Landes“, moniert Jürgen Kaiser von „Erlassjahr“. Selbst wenn die Ölförderung wieder in Gang käme, keine weiteren Anschläge mehr erfolgten und die Einnahmen aus dem Export in den irakischen Staatssäckel und nicht in die Kasse internationaler Ölkonzerne flössen: Die Auslandsschulden wären immer noch 8-mal so hoch wie die gesamten Exporteinnahmen.
Das heißt auch nach der Definition des deutschen Entwicklungsministeriums (BMZ): nicht tragfähig. Denn damit ein Land zumindest die Aussicht hat, seine Schuldenlast irgendwann einmal zu bewältigen, darf diese nicht höher liegen als beim Anderthalbfachen der Exporteinnahmen.
Und noch ein Argument spricht aus der Sicht des Erlassjahr-Bündnis für eine Entschuldung: Die Schulden des Iraks sind illegitim. Es handelt sich zum großen Teil um Kredite, die Saddam und seine Leute aufnahmen, um Krieg und Terror zu finanzieren.
Doch nicht nur die Schulden selbst halten die kritischen Verbände für fragwürdig, sondern auch die Art und Weise, wie die Entschuldung erfolgen soll: Die Gläubiger treffen sich im Pariser Club und handeln einen Erlass oder eine Umschuldung aus. Die Schuldner werden dabei nicht gefragt. Erlassjahr jedoch träumt von einem „fairen Verfahren“, bei dem auch die Menschen im Irak zu Wort kommen. Als einer der prominentesten Unterstützer eines solchen Schiedsverfahrens schrieb Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz neulich ein Plädoyer für eine gerechte Entschuldung.
Auch Deutschland wurden Schulden abgenommen
Konkrete Vorschläge ruhen übrigens längst an anderer prominenter Stelle, nämlich in der Schublade von IWF-Vizechefin Anne Krueger. Bisher scheiterten deren Ideen aber unter anderem am Widerstand des US-Finanzministeriums. Dennoch, so hofft Erlassjahr, könnte der Irak zu einem „Musterbeispiel“ für eine faire Entschuldung werden.
Gerne verweisen die Leute von Erlassjahr auf das Nachkriegs-Deutschland: Damals gab es zwar auch noch kein „faires Schiedsverfahren“. Doch das Wirtschaftswunder wäre nicht zustande gekommen, hätten die Alliierten und andere Gläubiger dem zerstörten Land nicht 1953 Schulden und Reparationsforderungen aus der Weimarer Republik und dem Ersten Weltkrieg erlassen.
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