piwik no script img

Gut gefärbte Blondinen

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Im Splendid Delicatessen in Berlin-Mitte können auch Solvente ein Ernährungsproblem bekommen

Angeblich ist die ganze Republik voll von Lohas. Das bedeutet, dass Menschen dem nachhaltigen, gesunden Lebensstil zugeneigt sind und dennoch auf keinen Genuss verzichten möchten. Nicht selten aber ist der gesunde, nachhaltige Lebensstil ein reines Distinktionsmerkmal. Und weil diese Art der Distinktion in Berlin so herrlich funktioniert, findet sich kaum noch ein Lokal, das halbwegs hip sein möchte und diesen Trend nicht ausnutzen wollte. Im Grunde gibt es in Berlin nur eine Gegend, wo das noch geht, nämlich die um den Bahnhof Friedrichstraße. In dieser Mischung aus Medienmenschen, Bundestagsangestellten und Touristen hat auch ein Laden wie das Splendid noch eine Chance.

Das helle Lokal an der Dorotheenstraße sieht aus wie ein Nanu-Nana-Nippesladen für Erwachsene. Nein, es ist ein Nippesladen für Erwachsene. Weil die aber lieber kaltgepresstes Olivenöl kaufen als Leopardenfell-bezogene Bilderrahmen, stehen eben Ölflaschen in den Regalen. Weil sie lieber hochpreisigen Alkohol verschenken als versaute Grußpostkarten, hat man eine kleine Auswahl an Wein. Und weil Erwachsene eines gewissen Milieus lieber essen, als ihre Wohnung mit Plastikblumen zu dekorieren, wird im Delicatessen ein Mittagstisch angeboten.

Hier sitzt dann das konservative Milieu in Form von gut gefärbten Blondinen und sinniert über Auflagenzahlen, spricht mit Besorgnis über die Ernährungsprobleme, nein, nicht der Unterklasse, sondern der „bildungsfernen Schichten“.

Ein Ernährungsproblem kann im Delicatessen aber leider jeder bekommen, der den Flammkuchen probiert. Das vertrocknete Stück liegt auf einem Holzbrett, das mehr stinkt, als das Essen duftet. Schade und ärgerlich.

Positiv anzumerken ist, dass ohne große Beschwerde die dafür gezahlten 6,80 Euro sofort erstattet werden. Nach dieser Schlappe macht der Salat einen erstaunlich anständigen Eindruck. Die verschiedene Blattsalate, Paprika, Tomaten und Paprika, zeigen nur ganz, ganz wenige braune Stellen und werden mit einem dezenten Dressing serviert. Den Boden der Quiche würde man in Bayern speckig nennen, insgesamt aber ist sie gelungen. Der Service ist freundlich, und auch wenn das Licht aus den vielen Lampen etwas zu grell auf den Marmorboden scheint, kann man es sich im Delicatessen gut einrichten.

Wirklich verdammen möchte man das Delicatessen trotz des traurigen Flammkuchen nicht. Lieber überlässt man es gelassen der Mischung aus Medienmenschen, Bundestagsangestellten und Touristen, die ohnehin hier glücklich sind.

SPLENDID DELICATESSEN, Dorotheenstr. 37, 10117 Berlin, (030) 92 12 72 47, Mo bis Fr 9.30 bis 20 Uhr, Sa 11.30 bis 18 Uhr, S-Bahn Friedrichstr., Latte macchiato 2,5 €, Salatteller 4 €

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen