piwik no script img

Politik kriminalisiert Fußballfans

Das Landeskriminalamt speichert in der der so genannten Datei ‚Gewalttäter Sport‘ tausende Fußballfans – und ignoriert den Datenschutz: Informationen werden an Private weitergegeben

VON HOLGER PAULER

Die Datei ‚Gewalttäter Sport‘ des Landeskriminalamtes NRW (LKA) sorgt für datenschutzrechtliche Bedenken. Fanprojektler und Rechtsanwälte wenden sich jetzt an die Landesbeauftragte für Datenschutz, Bettina Sokol: „Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht“, sagt Jürgen Scheidle vom Fanprojekt Bochum. Fans würden für Bagatelldelikte in die Datei aufgenommen. „In der Datei ‚Gewalttäter Sport‘ sind zahlreiche Personen gespeichert, die keine Straftat begangen haben“, heißt es bereits im Landesdatenschutzbericht 2001. Sokol will diese Praxis nochmals prüfen lassen. Die Erfassung zur Gefahrenabwehr ohne strafrechtlichen Vorwurf sei nicht akzeptabel.

Aktuell sind in der Datei rund 4.000 Personen gespeichert. Oft genügt die polizeiliche Registrierung persönlicher Daten am Rande eines Fußballspiels. „Manche Leute wissen gar nicht, dass sie in der Datei sind“, sagt Scheidle. Das LKA erteilt Auskünfte nur nach Anfrage. Die Daten werden bis zu fünf Jahre gespeichert. Von Vereinen ausgesprochene Stadionverbote werden auf Grundlage der Datei verhängt. „Die Weitergabe verstößt gegen das Landesdatenschutzgesetz“, sagt der Essener Rechtsanwalt Wolfgang Weckmüller: „Persönliche Daten dürfen nicht an Private weitergegeben werden.“ Die Landesregierung aber ist zu keiner Änderung bereit.

Scheidle befürchtet Probleme für seine Arbeit als Sozialarbeiter. „Jugendliche werden durch Stadionverbote ausgegrenzt und als Gewalttäter stigmatisiert“, sagt Scheidle. Im Fanprojekt Bochum betreut er Hooligans und Ultras. Gerade die Fan-Gruppierung der Ultras sieht sich massiver Repression durch Polizei und Ordner ausgesetzt. Durch ihre auffälligen Choreographien und pyrotechnischen Aktionen sind sie leicht angreifbar – Stadionverbote sind die Folge. „Die Auseinandersetzungen verlagern sich aus den Stadien, wir haben keine Möglichkeit mehr, die Leute zu erreichen“, sagt Jürgen Scheidle. Ein Teufelskreis.

Im Vorfeld der Fußball-WM 2006 sind weitere Einschnitte zu erwarten. „Die wirtschaftliche Bedeutung der WM ist groß, ein reibungsloser Ablauf der WM-Spiele soll gewährleistet werden“, glaubt Scheidle. Fans würden da nur stören – auch aus sicherheitspolitischer Sicht. Doch für Prävention ist gesorgt: Die so genannten „Gewalttäter Sport“ werden zwei Wochen vor Großereignissen von der Polizei besucht. Sie müssen ihre Pässe abgeben, werden mit Meldeauflagen belegt, in England sogar teilweise eingesperrt. Sollte SPD-Bundesinnenminister Otto Schily mit seiner Forderung nach einem vernetzten Datenaustausch durchkommen, könnte das englische Modell auch in Deutschland Anwendung finden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen