: Gemeinsame Aufgabe
Physiker Paul Raskin präsentiert zwei Zukunftsvisionen: Globalisiert und zivilisiert die eine. Barbarisch die andere
FRANKFURT/M. taz ■ Die Provokation kam vom früheren Bundesverkehrsminister und Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Volker Hauff (SPD). Das Szenario der „Great Transition“, eines neuen Paradigmas der Nachhaltigkeit in den Zeiten des Umbruchs, das Paul Raskin, Präsident des Tellus Institute und Direktor des Stockholm Environmental Institute in Boston (USA), zuvor skizziert hatte, basiere auf dem Ideal einer multilateralen Welt, erklärte Hauff. Dabei seien doch derzeit gerade die USA dabei, aus dem Planeten eine unilaterale Welt zu schaffen. Die Diskreditierung der Vereinten Nationen durch den Angriff auf den Irak schwäche die Weltgemeinschaft, die bislang den Prozess der globalen nachhaltigen Entwicklung forciert habe – nicht nur auf den Umweltgipfeln in Rio de Janeiro und in Johannesburg.
200 Wissenschaftler waren gestern der Einladung des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) zu der Tagung „Nachhaltigkeit neu denken!“ gefolgt. Sie applaudierten beiden Rednern.
Raskin erklärte die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft zu einer Gemeinschaftsaufgabe der Menschheit. Weiterzuwursteln wie bisher impliziere die Gefahr des Abgleitens in die Barbarei. Und die ist für Raskin auch eine – düstere – Zukunftsvision. Sein Gegenentwurf ist die „Great Transition“, der Versuch eines Paradigmenwechsels, um eine neue Entwicklungsstufe in der Menschheitsgeschichte zu erreichen: Frieden, Freiheit und individuelle Entwicklungschancen für alle Menschen auf der Welt, ökonomische Wohlfahrt und intakte Ökosysteme. Nur so hätten der „fragile blaue Planet“ und seine Bewohner eine echte Überlebenschance. „Wie wollen wir leben?“ Das sei die Grundfrage, sagt Raskin. Und die erste Antwort darauf müsse lauten: „Solidarisch und ökologisch bewusst.“ Auf Lebensqualität müsse dennoch nicht verzichtet werden, wenn jedem Individuum bewusst werde, dass es dabei nicht um Dinge (Luxus) gehe.
Raskins Entwurf sei „ein Plädoyer für eine positive Vision einer zivilisierten und zugleich globalisierten Welt“, so Tagungsleiter Thomas Jahn vom ISOE, das gestern auch seinen 15. Geburtstag feierte. Das Geburtstagsgeschenk überbrachte die hessische Wissenschaftsministerin Ruth Wagner (FDP): einen Scheck über 270.000 Euro für den Nachhaltigkeits-Forschungsverbund „Modellierung komplexer Systeme“ zwischen Universität und Institut. Es war ihre letzte Amtshandlung. Am Samstag übernimmt die CDU-Alleinregierung die Macht in Hessen. Ganz bestimmt keine „Great Transition“.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen