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Attische Landschaften

Die „Zeitgenössische Fotokunst aus Griechenland“ bricht mit der sozialdokumentarischen Tradition. Eine Ausstellung des Neuen Berliner Kunstvereins zeigt zwölf griechische Fotografen der Gegenwart

VON BRIGITTE WERNEBURG

Das heute gültige Bild von Griechenland ist eine Farbfotografie, die im Vordergrund strahlend weiße Wände mit dem hellblau bemalten Holz von Türen und Fenstern zeigt. Im Hintergrund, tief unter dem Aufnahmestandpunkt, glitzert ein strahlend blaues Mittelmeer, an dessen Horizont ein paar strahlend weiße Wölkchen ziehen. Andere Fotografien als die der Tourismuswerbung, die stets auf dieses eine Bild hinauslaufen, kennen wir nicht von Griechenland, wenn wir ehrlich sind.

Dabei sieht das Mittelmeer in Wirklichkeit grau aus, mit einem Stich ins Grüne. Es korrespondiert mit den grünen Liegen und grünen Sonnenschirmen, die am Strand schon aufgebaut sind und darauf warten, bevölkert zu werden. So jedenfalls sieht es Nikos Markou – einer von zwölf Fotografen, deren Arbeiten der Neue Berliner Kunstverein jetzt als „Zeitgenössische Fotokunst aus Griechenland“ vorstellt.

Doch Griechenland im Besonderen lässt sich in seinen Bildern nicht entdecken. Vielmehr, und das macht die Gültigkeit seiner Serie aus, erkennt man die touristisch-urbane Szenerie am Mittelmeer im Allgemeinen wieder, wie sie sich von Spanien über Italien bis in die Türkei findet. Spezifisch griechisch kann auch der Zugriff der anderen Fotokünstler auf ihre Themen und Motive nicht genannt werden. Dabei ist es durchaus ein Anliegen der global orientierten Reihe „Zeitgenössische Fotokunst“, die mit dieser Ausstellung ihre achte Ausgabe feiert, nationale Eigenheiten der Fotoszenen der vorgestellten Länder aufzuzeigen. Ein prekäres Anliegen von vornherein, das eher selten aufgeht, was den negativen Befund aber nicht weniger aufschlussreich macht.

Eine Becher-Schule, eine Neue Italienische Landschaftsfotografie mit Namen wie Walter Niedermayr oder Massimo Vitali, ein Martin Parr oder ein Paul Graham, die eine neue britische Farbfotografie inspirierten, lässt sich für Griechenland nicht ausmachen. Vielmehr positioniert sich die zeitgenössische griechische Fotografie ganz selbstverständlich im internationalen Diskurs. Das aber bringt sie in Distanz zur eigenen Fotogeschichte. Denn wird die Fotografie als visuelles Konstrukt begriffen, bedeutet dies den Abschied von der bislang in Griechenland dominierenden sozialdokumentarischen Fotografie. Der Weg führt also auch von der Straße ins Innere des Hauses. Schließlich richtet sich die Kritik mehr gegen die Bilder- als gegen die reale Welt.

Mit seiner „Attischen Landschaft“ (1997–99) lässt sich Epaminondas Schizas dieser Richtung zuordnen. In strengen Rastern fügt er die Einzelaufnahmen verschiedener Küstenlandschaften zu großen Tableaus, die die Szenerie über und unter Wasser zeigen. Die bekannte Prospektansicht schöner Badestrände korrespondiert nun unter Wasser mit dem Müll der Weißblechdosen und Plastikbecher. Nikos Panayotopoulos’ Athen zeigt die gewöhnliche urbane Ödnis, wo nur die gewöhnliche „the more you know“-Davidoff-Werbung etwas Farbe in das gewöhnliche Betongrau von Hochstraßen, Parkhäusern und Lichtmasten bringt. Von Akropolis und den Antiken keine Spur. Auch Nikos Markous fahle Landschaftspanoramen destruieren ein mythisches Arkadien. Überall in ihrer menschenleeren Natur ist Stadt, ist Verkehr, ist Beton und Werbung – nirgendwo Ruhe.

Wird deshalb die Wohnung zum Refugium? Zum Ort, an dem die Geschichten entstehen, die es zu erzählen lohnt? Panos Kokinias’ Stilleben liefern nur die Anregung für einen Plot, der noch zu erfinden wäre: ein leeres Gefrierfach, verschüttete Milch auf edlem Parkett und das Bild eines Mannes, der versonnen den Rauch seiner Zigarette auf eine kümmerliche Pflanze bläst. Schwangerschaft und Säugling brachten Lia Nalbantdou zurück ins Haus, das sie in einer ruhigen Serie von kompositorisch wohl ausgewogenen Ansichten erkundete: Eben „Der sichere, private Bereich meines Zuhauses“ (1996–2001).

Der künstlerisch scheinbar undankbaren, aber wohl unumgänglichen Aufgabe, seine eigenen Kinder beim Aufwachsen zu fotografieren, stellte sich Panos Vardopoulus, in dem er eine rasante, grell-bunte Serie seiner Familie im Zustand der Barbie-Puppen-Faszination fotografierte. Weil das Augenmerk der Kamera auf den Puppen liegt, werden die Kinder zu Riesen. Man meint die Befindlichkeit des Vaters zu erkennen. Und vielleicht auch die stärkste Arbeit der anregend kuratierten Ausstellung.

Barbie war auch für Nikoletta Zissi das Mittel der Wahl für eine Serie von Selbstporträts, die als lakonischer Entwurf exemplarischer Frauenbilder zu lesen sind. Maskiert, verkleidet, in klaustrophisch enge Räume gekrümmt: Christina Calbari gerieten ihre Selbstporträts, die ihre Anregung der Kunst-Performance verdanken, dann doch ein wenig zu kunstvoll.

Die hohe Qualität der ausgestellten Arbeiten verdankt sich zweifellos der institutionellen Absicherung, die die Fotografie in Griechenland heute erfährt. In den 70er-Jahren, als nach Krieg, Bürgerkrieg und schließlich der Zeit der Junta erstmals die Situation gegeben war, wieder neu über Fotografie nachzudenken, begannen die Städte Athen und Thessaloniki mit verschiedenen kleineren Foto-Initiativen zu konkurrieren. Die erste Fotozeitschrift kam in Thessaloniki heraus, die erste Fotogalerie eröffnete in Athen. Mitte der 80er gab es ein erstes Fotofestival in Thessaloniki, Athen zog mit dem „Monat der Fotografie“ nach. 1997 schließlich wurde das Fotografiemuseum Thessaloniki gegründet, das zeitgenössische Fotografie sammelt und inzwischen über 1.000 Abzüge von griechischen und etwa 150 Arbeiten von internationalen Fotografen besitzt. Trotz ihrer schwer zu merkenden, langen Namen wird der eine oder die andere griechische FotokünstlerIn international Karriere machen und das Interesse an ihrem Hintergrund wecken. Denn dass wir nur die Bilder der Tourismuswerbung kennen, ist nicht allein unserer Ignoranz geschuldet. Griechenland selbst fand lange, von 1920 bis eben 1970, keinen Anschluss an die fotografische Entwicklung – sei sie zunächst von Deutschland, Russland oder später Amerika ausgegangen.

Ausstellung bis 29. Februar in Berlin, Katalog 19 €. Weitere Stationen: Sindelfingen, Kiel und Halle

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