: Schritt für Schritt nach Kirkuk
Im Nordirak rücken die kurdischen Kämpfer gemeinsam mit US-Spezialeinheiten langsam auf die Ölstadt vor. Der Kommandant kommt aus Nürnberg
aus Kadir Karam MARCUS BENSMANN
Auf einem kleinen Hügel erhebt sich die zerschossene Kuppel der Moschee von Kadir Karam 40 Kilometer südöstlich von Kirkuk in den verhangenen Himmel Irakisch-Kurdistans. Die Brücke über den Fluss Rochana ist eingeknickt. Bei ihrem Rückzug hatte die irakische Armee versucht, die Eisenbrücke, die noch die Engländer errichtet hatten, zu sprengen. Mit einem geländegängigen Jeep kann man sie jedoch überqueren. Eine Betonstele, auf der Saddam Hussein als selbstbewusster Heerführer abgebildet ist, ist zerschossen.
Einige Kilometer hinter dem begrasten Hügel von Kadir Karam liegt das erste Ölfeld, das die kurdischen Kämpfer, die Peschmerga, besetzen konnten. US-amerikanische Spezialeinheiten sichern es seit Sonntag. Zum Bedauern des Peschmergas al-Gaf Sirvan ist seither den Journalisten der Zutritt zu dem Ölfeld verwehrt.
Der 53-jährige Kurde kommt aus Nürnberg. Zwanzig Jahre hat er in Deutschland gelebt, erst als politischer Flüchtling, doch seit 13 Jahren hat er einen deutschen Pass. In Nürnberg hat al-Gaf Sirvan in einer Tankstelle gearbeitet. Vor drei Monaten reiste er über die Türkei in den Nordirak ein. In Suleimanija kaufte er sich für 500 Euro eine russische Pistole und eine Kalaschnikow. Seither dient er als Berater seines Freundes Mom Rustam im Kampf gegen die irakische Armee.
Sirvan und Mom Rustam haben in den Siebzigerjahren gemeinsam als Widerstandskämpfer in den nordirakischen Bergen gegen die irakische Armee gekämpft. Mom Rustam ist anerkannter Flüchtling in Deutschland und hat bis vor sechs Monaten sieben Jahre lang ebenfalls in Nürnberg gelebt.
Die Patriotische Union Kurdistans (PUK) übertrug Mom Rustam nach dessen Rückkehr die Verantwortung für die Front bei Kirkuk. Der Peschmerga-General befehligt von dem 40 Kilometer östlich von Kirkuk gelegenen Chamchamal aus 2.000 kurdische Kämpfer. Er wird unterstützt von einer Fraueneinheit der PUK.
Die meisten Läden von Chamchamal sind geschlossen, kurdische Kämpfer fahren auf ungeschützten Pick-ups, auf denen Maschinengewehre installiert sind, über die staubigen Straßen. Die Peschmerga-Armee verfügt weder über Panzer noch über andere schwere Waffen. Sie bilden einen klaren Kontrast zu den Hightechsoldaten der Special Forces, die seit einigen Tagen vermehrt durch Chamchamal zur Front fahren. Die US-Soldaten verstärken die leicht bewaffneten kurdischen Kämpfer an der Frontlinie und koordinieren die Luftangriffe. Trotz des US-amerikanischen Raketenangriffs auf einen Konvoi der Peschmergas am Sonntag vor Mossul, bei dem 18 Kurden starben, sei das Verhältnis zwischen den Kurden und den Special Forces ungetrübt, sagt Mom Rustam, obwohl er sich eine größere Einbindung der Peschmerga-Kämpfer wünschen würde.
Mom Rustam traf sich am Montag in Chamchamal mit dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Spezialtruppen im Nordirak. Über das Gespräch muss der General Stillschweigen bewahren. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass die Peschmergas in den nächsten Tagen Kirkuk einnehmen werden. Mit Rücksicht auf die Türkei und den Iran wollte sich der General jedoch nicht zu einem Angriffstermin äußern. Die irakischen Truppen und Einheiten der Republikanischen Garden hätten sich vollständig in die Stadt Kirkuk zurückgezogen. Die Peschmergas ständen bis zu 15 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt, erklärt Mom Rustam und schätzt, dass sich ungefähr 30.000 irakische Soldaten dort verschanzt hätten.
Es gäbe aber bisher keine direkten Gefechte zwischen den Peschmergas und den irakischen Truppen. „Wir haben Späher in Kirkuk, die uns über Satellitentelefone informieren“, sagte Mom Rustam. Die irakischen Truppen seien durch die ständigen Bombardements nervös und demoralisiert. „Wir können, wenn wir den Befehl bekommen, in zwei Stunden Kirkuk erobern.“ Da die Ölfelder Kirkuks zum überwiegenden Teil innerhalb der Stadt liegen, könne man diese nur sichern, wenn man auch die Stadt erobere.
In der Nacht zum Montag hätten heftige US-amerikanische Bombenangriffe wieder die Stellungen der irakischen Armee in und um Kirkuk bombardiert, erklärt Mom Rustam. Die schlechte Bewaffnung der Peschmergas werde bei einem möglichen Häuserkampf in Kirkuk durch die guten Ortskenntnisse der kurdischen Kämpfer ausgeglichen. Der General kommt wie die meisten Peschmergas aus Kirkuk. Die irakische Regierung habe sie aus den Häusern vertrieben und ihre Geschäfte geraubt. „Jetzt werden wir uns unser Eigentum wiederholen“, sagt der General. Er versichert jedoch, dass die Rückgabe der Häuser friedlich erfolgen solle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen