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MATTHIAS URBACH über DER PERFEKTE KAUFHaie im Kaufparadies

eBay-Kunden haben jeden Tag im Jahr Geburtstag. Ständig bekommen sie Pakete – und drinnen wartet immer eine Überraschung. Dahinter lauert die große Frage: Ist der Mensch grundsätzlich gut? Oder doch dem Menschen ein Wolf?

Der Paketbote klingelt. Endlich kommt mein „Konvolut“, wie wir eBayer sagen. „130 Teile Brio-Eisenbahn“. Frisch ersteigert. Jede Menge Schienen, ein Containerkran, Hebebrücke, Bahnhof. Für korrekte 76,61 Euro. Allein die Hebebrücke kostet neu 30 Euro.

Ich setz mich auf den Wohnzimmerboden und fische staubige Schienen aus einem voll gerümpelten Paket: Brücke und Kran sind kaputt, der Bahnhof ist beschmiert, die Schienen sind reihenweise angeknackst oder mit Filzstift bekritzelt. „Super erhalten“, hatte der Verkäufer über dem geschickt arrangierten eBay-Foto geschrieben, das keinen Schaden erkennen ließ, „und sehr schön verarbeitet“. Jetzt dämmert es mir: Nicht von Brio sprach er, sondern von seinen Malkünsten.

Jahrelang hatte ich das Auktionshaus im Netz gemieden: Zwar winkten Schnäppchen – aber wenn’s schief ging, warst du auf dich allein gestellt. Da war der Kumpel meiner Liebsten, der auf seinem ersteigerten Apple-Laptop vertrauliche Daten fand – und ehrlich dumm zur Polizei ging. Die konfiszierte das Diebesgut.

„Soll ich auf das Hit-Car-Konvolut in vier Minuten bieten?“ Meine Frau unterbricht mein Gegrübel.

Ich bin nicht in Stimmung.

Da war mein Kollege: Statt High-End-Boxen von JBL erhielt er nur ein High-End-Gehäuse mit nachträglich eingebautem Ramschlautsprecher. Und mein alter Schulfreund besitzt statt der ersteigerten Superdigitalkamera nun einen richterlichen Pfändungstitel – gegen seinen längst insolventen Betrüger.

Doch irgendwie kippte die Stimmung. Früher hatte jeder einen Abgezockten in seinem Bekanntenkreis, heute kennt jeder einen „Powerseller“.

Dann hat eBay auch mich erwischt. Meine Liebste sammelt Steiff-Tier-Handpuppen aus den Sechzigern. Ich klapperte halb Berlin ab – ohne Erfolg. Dann verwies mich ein Trödler auf eBay: Ein simple Suchanfrage ergab auf Anhieb 23 Treffer. Ich erbeutete Krokodil, Kätzchen und Affe samt Knopf im Ohr.

Nirgendwo findet man so leicht alte Liebhaberstücke. Alte Soul-Scheiben, Trichter-Steilkurven für die original Faller-Autorennbahn, alte Pacman-Spielmodule für Atari – alles ständig lieferbar. Ich suchte einen Müllwagen für meinen Sohn und wunderte mich über 3.000 Euro Startgebot. Das gute Stück war im Maßstab 1:1.

Wenn die Auktionswelle erst mal rollt wie im Moment bei meiner Liebsten, ist eBayen wie jeden Tag im Jahr Geburtstag haben: Man kriegt ständig Pakete – und immer ist eine Überraschung drin.

„Schau mal das schöne Stethoskop, das heute gekommen ist“, frohlockt meine Frau. „Der Kleine wird sich freuen!“ Echte Arztware, für drei Euro fünfzig. Dafür verkauft mir mein Spielzeughändler an der Ecke nicht mal ein Plastikimitat.

Ich formuliere einen milden Drohbrief an meinen Brio-Schwindler. „Wir haben ein Problem“, tippe ich in den Rechner. Diese Formel ist bewährt: Einmal verkaufte mir ein Händler einen defekten IBM-Taschencomputer, ein anderer vertickte mir einen Rasenmäher „mit ein paar kleinen Rostflecken“. Der Erste nahm den IBM zurück, der zweite halbierte den Preis. Der Verkäufer soll mir Recht geben, und dabei sein Gesicht wahren können.

Hart, aber höflich.

eBay liefert die tägliche Empirie zum großen philosophischen Menschheitsstreit. „Ist der Mensch grundsätzlich gut“ (eBay), oder ist „der Mensch dem Menschen ein Wolf“ (Thomas Hobbes)? Schon zum dritten Mal habe ich Ärger. Meine Frau dagegen strahlt jeden Morgen über ihrem Paket.

Mache ich etwas falsch? Wie gefährlich ist eBay ?

Ich frage bei den Verbraucherzentralen. Trotz einiger Beschwerden hat man dort den Eindruck, dass eBay einigermaßen funktioniert, „sonst wäre es nicht so beliebt“. In Betrugsfällen tue eBay aus Imagegründen einiges. Mehr stört die Verbraucherwächter das Unwesen der „Powerseller“ mit ihrem „Sofortkauf“. Dahinter verberge sich oft normaler Versandhandel, getarnt als Privatauktion – um so den Käufern vorzugaukeln, sie hätten kein Rücktrittsrecht. eBay ignoriere das Treiben.

Juristin Helga Zander-Hayat von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen empfiehlt die übliche Vorsicht: Keine großen Beträge blind überweisen, sondern den „Treuhandservice“ nutzen; auf die Beurteilung der Anbieter achten; Neupreise recherchieren, damit man im Auktionsrausch nicht zu viel bietet.

„Aber in der Regel klappt es, oder?“, lächelt sie. Sie kauft ihre Kosmetik bei eBay . Sie also auch.

Ihre Worte erinnern mich an eine Freundin, die seit Jahren ohne Probleme per eBay ihre Töchterchen einkleidet. Auch meine Frau bietet erfolgreich vor allem auf Klamotten und schlichtes Spielzeug. Offenbar lohnt sich hier das Betrügen nicht allzu sehr. Bei Laptops, Kameras und Hi-Fi kann man hingegen nicht vorsichtig genug sein.

Bei den großen Betrügern, die einfach verschwinden, ohne zu liefern, greift inzwischen oft eBays „Käuferschutz“. Bei den kleinen Schummeleien muss man hartnäckig bleiben.

Als mein Kollege die High-End-Boxen reklamierte, erklärte der Verkäufer zunächst, die Boxen seien „tipptopp“. Dann hieß es, die Boxen seien „fachgerecht repariert“. Erst nach Drohungen mit der eBay-Zentrale und schlechten Bewertungen nahm er die Teile zurück.

Auch mein Brio-Verkäufer hat mich verarscht. Angeblich konnte ich die Ware nicht bei ihm abholen, weil er die Ware eines Kumpels verkaufe. Auf den Schienen fand ich dann, in Kinderschrift, seinen Vornamen.

Ich habe meinen Brief kaum fertig getippt, da zieht meine Liebste mir die Tastatur unter den Händen weg. Sie muss noch schnell auf den Joop-Damengürtel bieten. „Schau mal, die verstellbaren Brio-Weichen sind schon über 22 Euro geklettert“, ruft sie mir nach. Bei Karstadt kosten die knapp 19 Euro.

Matthias, wir sollten endlich mit dem Verkaufen anfangen.“

Fazit: eBay wird unsere Nächstenliebe weiter strapazieren.

Fotohinweis: MATTHIAS URBACH Fragen zu eBay? kolumne@taz.de! Montag: Bernhard Pötter über KINDER

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