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Hinter den Kulissen Trauer

Götterdämmerung bei der NRWSPD: Der Parteitag feiert den Heilsbringer Müntefering – und watscht die Spitze der Landespartei ab. Die Verlierer: Landeschef Schartau und Ministerpräsident Steinbrück

VON ANDREAS WYPUTTA

Standing Ovations nur für die Bundesebene: Während der Bochumer SPD-Landesparteitag Kanzler Gerhard Schröder und besonders den bereits ikonenhaft verklärten designierten Vorsitzenden der Bundespartei Franz Müntefering minutenlang feierte, straften die Delegierten ihren Landesvorstand ab. Hatte SPD-Landeschef Harald Schartau bei seiner ersten Wahl im Dezember 2001 mit 97,2 Prozent ein Traumergebnis einfahren können, das ihm damals „eine Gänsehaut“ über den Rücken jagte, reichte es am Samstag nur noch für deutlich schwächere 83,8 Prozent. 59 der 469 Stimmberechtigten stimmten gegen den NRW-Wirtschaftsminister, 74 Delegierte verzichteten ganz auf die Stimmabgabe – sei es aus Protest, sei es, weil sie mit den neuen elektronischen Abstimmungsautomaten nicht klar kamen.

Kein Wunder: Demotiviert, leise, beinahe krank klang der Vorsitzende des größten SPD-Landesverbands. Depressiv bereits der Start seiner Rede: Schartau begann mit den SPD-Parteispendenskandalen in Köln und Wuppertal, machte mit dem „schmerzhaften“ Mitgliederschwund weiter und verteidigte den Kurs des Sozialabbaus durch die ‚Agenda 2010‘ des Bundeskanzlers – um kurz darauf Nachbesserungen etwa bei der Betriebsrente einzufordern.

Die Reaktion: Nur die wenigsten hörten konzentriert zu, im Saal herrschte ein Gemurmel, als rede irgendein unwichtiger Basisvertreter. Müntefering spürt, dass der Parteitag kippt, hält seine flammende Standard-Rede. 45 Minuten wird die Seele der Partei gestreichelt – im Vorfeld hatte es geheißen, der Heilsbringer werden nur kurz sprechen, um keinen Vergleich mit Schröder zu ermöglichen.

Ähnlich schwach wie Schartau auch die Rede des Regierungschefs: Erst nach der Hälfte der Rede schwacher Applaus, als Peer Steinbrück den CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers einen „Drückeberger“ nennt. Schwach selbst das Redemanuskript, das vorab an die Journalisten verteilt wird: „Das eine oder andere Rathaus“ werde die SPD bei der Kommunalwahl wohl zurückerobern können, steht da. Immerhin, Steinbrück bemerkt den rhetorischen Gau, spricht von „Rathäusern“. Schwach auch das Ende: „Wir werden siegen“, ruft der Regierungschef in den Saal – und klingt doch deprimiert. Schartau dankt artig. Aus seinem Gesicht schaut Trauer.

Die zweite Reihe spürt die Unsicherheit, die latente Depression: Bemerkenswert stark die Reden von Generalsekretär Michael Groschek und des als blass geltenden Vorsitzenden der Landtagsfraktion, Edgar Moron. Groschek betont, er kandidiere nicht als Bürgermeister in Oberhausen, ziehe den Job als Generalsekretär durch. Seine Beschwörung an die Basis: Kämpft vor Ort, „stellt die Kandidaten in den Mittelpunkt“. Höflicher Applaus.

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