: Die materialistische Küche
Das Burnt Food Museum präsentiert Lebensmittel für die Ewigkeit. Im Schimmelmuseum hingegen wird der Metamorphose gehuldigt – bis ins Nichts. Den dritten Weg weist Molekularküchenfan Martin Lersch: zum perfekten Ei in 360 Minuten
VON MARTIN KALUZA
Die Welt mit all den Gegenständen, die sie enthält, besteht – schenken wir den Elementarphysikern Glauben – aus gerade mal einer Handvoll Grundbausteinen. Häuser, Menschen, Wälder, Konzertflügel und Bankautomaten unterscheiden sich im Prinzip nur dadurch voneinander, dass die Teilchen jeweils ein wenig anders arrangiert sind. Lebensmittel bilden da keine Ausnahme, nur denken wir bei der täglichen Nahrungsaufnahme in der Regel nicht daran: Ein Schnitzel ist ein Schnitzel ist ein Schnitzel.
Gute Köche können uns die Illusion schenken, es läge etwas von höherer Bedeutung auf dem Teller. Wir selbst jedoch – Stümper in der Küche oder schlicht zerstreute Zeitgenossen – werden immer wieder auf die Erkenntnis zurückgeworfen, dass Essenszubereitung a) ein schmaler Grat ist und b) letztlich auch Lebensmittel nur Materialien sind, die den Gesetzen der Chemie unterworfen sind. In Wirklichkeit kocht Essen über, es verbrennt, verhärtet, verdirbt und wechselt seine Aggregatzustände. Ein Schnitzel ist mitunter einfach nur die Vorstufe zu etwas ganz anderem.
Exemplarisch vorgeführt wird das im Burnt Food Museum, einer privaten Sammlung von verbrannten Speisen, die nur selten für Besucher geöffnet wird, jedoch im Internet zu sehen ist. Hier finden sich Abbildungen von dreifach gebackenen Kartoffeln, karbonisierten Makkaroni und geschrumpftem Vollkorntoast. Das beeindruckendste Stück lieferte den Anlass zur Gründung des Museums: ein freistehender Apfelmost aus dem Jahr 1981, entstanden durch Vergessen auf dem Herd. Weder Form noch Farbe des zylindrischen Gebildes lassen erkennen, dass es aus einer Flüssigkeit entstanden ist.
Während Deborah Henson-Conant, die Gründerin des Burnt Food Museum, die Verkohlung ironisch als Mittel preist, Lebensmittel ihrer Vergänglichkeit zu entreißen (verkohlter Toast hält ein Leben lang und ist nicht durch Verzehr in seiner Existenz gefährdet), ging es dem Künstler Dieter Roth (1930–1998) genau um das Gegenteil: Er stellte durch die Nutzung von Lebensmitteln als Werkstoff sicher, dass sich seine Kunstwerke ständig veränderten – bis hin zum Verfall. Roth baute Skulpturen aus Zucker und Schokolade, mischte Lebensmittel anderen Materialien bei und erklärte seine Werkstatt in Hamburg zum Schimmelmuseum. In der Hamburger Kunsthalle hing lange eines seiner schönsten Werke: In einem umklappbaren Rahmen, zwischen zwei Glasscheiben eingeklemmt, waren zwei verschiedenfarbige Pappflächen mit einer Scheibe Salami zu sehen, die durchgesteckt halb auf der einen, halb auf der anderen Seite hervorlugte. Mit der Zeit war die Salami immer weniger als solche zu erkennen, sie hatte sich als mäanderndes Fett von selbst wie eine Landkarte über die Bildfläche verteilt. Das Werk hieß (wenn ich mich recht erinnere) „Sonnenaufgang/Sonnenuntergang“, und als ich kürzlich nach jahrelanger Pause routinemäßig vorbeischauen wollte, was die Wurst so trieb, war sie nicht mehr aufzufinden. Schade! Das Schimmelmuseum übrigens wurde 2004 abgetragen und geschlossen. Im Internet blieb es als virtueller Rundgang erhalten.
Einen ganz anderen Gegenentwurf zum Burnt Food Museum stellt die Molekularküche dar, jene Denkschule, die sich gezielt der Kenntnis chemischer und physikalischer Prozesse bedient, um Speisen entweder zu perfektionieren oder neue Geschmacks- und Konsistenzerlebnisse herzustellen. Tomatenkaviar, heißes Eis, Tagliatelle aus Gelee – you name it. Der in Oslo lebende Chemiker und Molekularküchenfan Martin Lersch hat sich lange Gedanken über das perfekte Frühstücksei gemacht: Vorausgesetzt, das perfekte Ei habe fest-zartes Eiweiß und halbfestes Eigelb, dann seien die üblichen Kochempfehlungen nicht nur unpräzise, sondern irreführend. Lersch rechnet vor, dass bei kochendem Wasser entweder nur das Eiweiß oder das Eigelb perfekt geraten könne. Wer gezielt auf ein perfektes Eigelb hin koche, habe keine Kontrolle mehr über die Temperatur des Eiweißes. Seine Lösung: das Ei nicht zu kochen, sondern bei einer Temperatur von beständig 65 Grad sechs Stunden lang zu erhitzen.
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