piwik no script img

Lob des Imperiums

DAS SCHLAGLOCH    von MICHAEL RUTSCHKY

Leichter als viele periphere versammelt das Empire die „multitudes“, die ihm radikal widersprechen

Das Römische Reich war durch die merkwürdige und vollständige Verschmelzung seiner Glieder fest begründet. Die unterworfenen Völker, welche die Hoffnung, ja sogar den Wunsch nach Unabhängigkeit aufgaben, nahmen den Charakter römischer Bürger an … Aber diese Vereinigung war mit dem Verlust der Nationalfreiheit und des kriegerischen Geistes erkauft, und die knechtischen Provinzen, des Lebens und der Bewegung bar, erwarteten ihr Heil von den Lohntruppen und Statthaltern, die unter den Befehlen eines fernen Hofes standen. Das Glück von hundert Millionen hing von den persönlichen Errungenschaften eines oder zweier Menschen ab, vielleicht Kindern … Edward Gibbon, Verfall und Untergang des Römischen Reiches (1776–88)

Unter Ostdeutschen trifft man sie besonders leicht, Leute, die den Untergang des amerikanischen Imperiums erwarten; sie verweisen auf das Römische und das Habsburger und das Osmanische Reich, die schließlich auch verfielen (selten folgt in ihrer Aufzählung das sowjetische – anscheinend aufgrund tief gehender Loyalitäten immer noch ein starker Schmerz, mit denen niemand rechnete). Gern spekulieren diese Kader über den Aufstieg Chinas, während die islamische Welt selten das Fantasieren stachelt, verständlicherweise.

Es braucht keine Tiefenhermeneutik, um die Gründe zu verstehen, weshalb das amerikanische Imperium untergehen soll wie so viele andere mächtige Imperien vor ihm. Unverkennbar motivieren Rachegedanken diese Kader; die Partei, die ihnen der Kalte Krieg zuwies, nehmen sie jetzt freiwillig ein. Auch kommt das Konzept der Nemesis divina ins Spiel, metaphysische Ausgleichszahlungen und Retourkutschen: Es kann unmöglich angehen, dass Macht und Reichtum im Übermaß auf Dauer bei den USA bleiben; irgendein Gerechtigkeitsprinzip im Hintergrund der Weltmechanik besorgt schon ihren Absturz.

Man findet die Anhänger dieses Antiimperialismus natürlich auch im Westen der BRD. Worüber sie selten oder gar keine Auskunft geben können: Was sie sich von der postamerikanischen Welt erhoffen – allzu deutlich bestimmt sie der einfache Hass auf Amerika, den großen Satan, die Hegemonialmacht; das ehrwürdige „Fight the Power!“ Was man sich jenseits davon wünschen könnte, die postamerikanische Utopie, wenn man eine Formel will, bleibt unklar.

Was man über das Leben in den Ruinen eines Imperiums lesen kann, weckt keine Sehnsucht. Die Berichte über das postsowjetische Sowjetreich sind immer noch nahe und schrecklich genug, Hunger, Kälte, Angst; das Englische nennt die Zeit nach dem Zusammenbruch des Römischen Imperiums drastisch „The Dark Ages“, und das reicht völlig zur Charakteristik – der pfiffige Heribert Illig behauptet ja, es gab sie gar nicht, eine Fehlrechnung im Kalender, was man nur denken kann, weil die historischen Zeugnisse für die dunklen Zeiten so spärlich ausfallen. Mich tröstet die Beweisführung, dass das Imperium Romanum genau besehen nie unterging. Vom Rechtssystem bis zu den Bauformen – die Kuppel auf dem Pantheon in Rom, auf dem Capitol in Washington, die Glaskuppel auf dem Berliner Reichstag – prägt das angeblich untergegangene Imperium die uns bekannte Geschichte.

Lange verstand ich nicht, warum der einst sozialistische Zeitungsmann Joseph Roth als Romancier in den Dreißigern die Rückkehr zum Habsburger-Imperium propagierte; ich hielt das für eine Auswirkung des Alkoholismus. Dass es den Habsburger-Teilen des zerstörten Polen besser erging als den preußischen und den russischen – weil halt den Habsburgern Multikulti vertraut war –, ich las es zuerst mit Unwillen. Irgendwie saß auch in meiner Imagination der Gedanke fest, wenn ein Imperium zerfällt, ist das eine feine Sache und bedeutet irgendwie einen Zuwachs an Freiheit (wofür die posthabsburgischen Völker ja gar keinen Beleg liefern, und auch von den GUS-Staaten hört man vor allem Übles).

Irgendwie saß auch in meiner Imagination der Gedanke fest, wenn ein Imperium zerfällt, ist das fein

Wer die Zerstörung des Imperiums wünscht und fordert, greift dabei mehr oder minder deutlich stets auf die Semantik, womöglich die Ideologie des Nationalismus zurück. Was das Imperium aktiv unterdrückt oder passiv in seiner Entfaltung behindert, das ist die kulturelle Identität der Völker, die sich politisch in Nationen verwirklichen will. Dabei verdankt sich die jeweilige kulturelle Identität keinen schicksalhaft tiefgründigen, uralten Erfahrungen, über die jeder Volksgenosse spontan verfügt. Vielmehr produziert die Intelligenzija durch historische, philologische und literarische Arbeiten, was das Volk unmittelbar für sich selbst halten soll, wie der anglotschechische Sozialanthropologe Ernest Gallner, den ich immer wieder preisen muss, zeigte: Herder und Fichte und die Romantik erfanden, was deutsch sei, niemand sonst. PR erzeugt die kulturelle Identität eines Volkes, kein schicksalhaftes Erwachen aus dem Tiefschlaf der Fremdherrschaft.

Nach dem Zerfall der SU und der Wiedervereinigung hörte ich manchen ostdeutschen Intellektuellen davon träumen, jetzt müssten die Deutschen in Ost, aus ihrem imperialen Gefängnis entkommen, zu einer genuin deutschen Identität (zurück-)finden und auf diesen Weg auch die Deutschen in West, so sklavisch ihren ehemaligen Besatzern ergeben, locken. Und jetzt, als Nebenlärm zum Irakkrieg, mühte sich ja auch mancher Westler um einen programmatischen Antiamerikanismus, „Nieder Bruce Willis“, „Hoch Heino Ferch!“ Eine Künstlerin informierte mich regelmäßig über ihre diesbezüglichen Aktivitäten (um nicht Mätzchen zu sagen).

Was aber die antiamerikanischen Proteste in der BRD, in Westeuropa seit dem Vietnamkrieg auszeichnet: dass sie längst innerhalb des amerikanischen Imperiums stattfinden, keineswegs in einem vor- oder postamerikanischen Raum. Das konnte man auch nach dem 11. September beobachten: Bevor Horst Eberhard Richter oder Friedrich Schorlemmer die Attacke den USA als Anlass zur Einkehr und Buße empfehlen konnten, war Susan Sontag längst zur Stelle. Und auch jetzt, anlässlich des Irakkrieges, ließen sich die US-Bürger in puncto Friedensdemonstrationen nicht lumpen; heftige und hochdramatische Selbstkritik zählt zu den Basismechanismen der USA. Leichter als viele periphere versammelt das Kernland, das Empire, die multitudes, die ihm radikal widersprechen – das einschlägige Buch studiert man an amerikanischen Universitäten weit intensiver als anderswo.

Was mich an den nationalistischen Semantiken, wie sie der antiamerikanische Protest während des Irakkriegs erneuerte, so irritierte: die Idyllik. Während die USA die Weltherrschaft durch Atomwaffen anstreben, träumte der Protest, eine ganz andere Welt wäre möglich: ein Patchwork niedlicher Nationen, die sich bei regelmäßigen Festivals ihre jeweiligen kulturellen Identitäten vortanzen, artig vom Beifall der jeweils anderen begleitet. Bewaffnete Heere sind ganz überflüssig. Es geht doch um Kultur! Und wenn die USA nicht fortlaufend in der islamischen Welt wegen des Öls Despoten aufbauten (die sie dann, werden sie zu selbstständig, höhöhö, bekriegen müssen), dann nähmen auch Libyen, Sudan und Syrien, Pakistan und Indonesien längst teil an unserer kleinen Festspielgemeinschaft …

Was man über das Leben in den Ruinen eines Imperiums lesen kann, weckt keine Sehnsucht

Demgegenüber gehört unbedingt zur Erinnerung des alten Europas, welche furchtbaren Kriege Nationen wegen ihrer kulturellen Differenzen führen können, ja, manchmal schien der Krieg das einzige Verfahren, eine kulturelle Identität zu definieren. Von meinem Vater, Jahrgang 1893, kam in Spurenelementen noch die deutsche Erbfeinschaft gegen Frankreich auf mich – mein Vater zog 1914 als Freiwilliger in den Krieg –, und immer wieder muss ich mich gemahnen, dass Flaubert und der Impressionismus und Proust und André Breton und Truffaut und Roland Barthes meine Imagination reich möblieren. Keine Ahnung, was ich Teutonisches an deren Stelle setzen könnte – aber das Schema, Deutsche konsumieren deutsche Kultur und das macht sie zu Deutschen, kann ich noch erahnen.

Okay, was hinter dem Antiamerikanismus mehr oder minder deutlich zum Vorschein kommt, sei stets die nationalistische Semantik („Kein McDonald’s am Roten Platz!“). Und die führt nach europäischer Erfahrung, vor allem der deutschen, eher zu Kriegen als zu Kulturfestspielen. Dazu muss gesagt sein, dass sich George W. Bush („il Presidentino“) keineswegs meiner begeisterten Zustimmung erfreut. Doch müssen wir ihn ja nicht mehr allzu lange ertragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen