: Beten auf Tapeten
Der Bremer Künstler Werner Kuhrmann stellt in der Galerie des Westens die Frage: „Welches Motiv hat das Leben, immer wieder in meins zu treten?“
Wäre Werner Kuhrmann 200 Jahre früher zur Welt gekommen, er würde vielleicht Intarsien in katholische Kirchenbänke schnitzen. Oder die Wände sakraler Räumlichkeiten zwischen Münster und Paderborn mit den lustigsten Anekdoten Jesu versehen. Im Telgte des Jahres 1764 hätte er das Licht der Welt erblickt, und sich vierzig Jahre später wahrscheinlich nicht die Frage gestellt: „Welches Motiv hat das Leben, immer wieder in meins zu treten?“
Werner Kuhrmanns Ausstellung in der Waller Galerie des Westens (GaDeWe) versammelt Materialcollagen, die sich aus Bild und Text zusammensetzen. Von der katholischen Erziehung des 39-jährigen Druckvorlagenherstellers und studierten Grafikers ist auf den ersten Blick wenig geblieben. Obwohl: Ist nicht das gespannte Verhältnis von Wort und Bild das große christliche Thema? Ist es Zufall, dass direkt der Eingangstür gegenüber, fast wie ein wortloses Motto, auf profan gelacktes Holz nebst Tapetenresten aufgebrachte Dürer-Bet-Hände prangen, um den Bildmittelpunkt zur ,himmlischen‘ Diagonale gespiegelt?
Kuhrmanns Mittel sind Reduktion in Ausdruck und Material, sowie Ironie und Skurrilität im Inhalt. Ironie wird nie besserwisserisch. „Ich stelle hier die Fragen!“, mahnt eine Figur mit Bush-Maske, die sich aufs Setzen von Ausrufezeichen versteht. Aber eben klein und leise.
Wichtiger als das tagesaktuelle Statement ist Kuhrmann das Ausrufezeichen, das er als eine Art Kontrapunkt mehrfach zwischen die Objekte hängt. Dieses kategorische Schriftzeichen ist nicht seins. Es scheint zur anderen, zur Gegenwelt zu gehören. Seine ist die Welt des Sammlers, der sucht - fragend, beobachtend, vorsichtig andeutend.
Ferner rückt Kuhrmann die Bildwelten des Comics behutsam in seine Denk- und Schreibräume. Die „Sprechblasen“ sind wörtlich auf den Bildhintergrund der collagierten Objektkästen gezimmert. Der schönste zeigt zwei Herren im 1950er-Outfit. Sie stehen einander gegenüber, stumm; jeder zieht an einem kleinen Seil ein winziges Papierschiffchen hinter sich her. Dem fragil mit Draht eingezäunten Bild sind die Worte zugeschrieben: „In unregelmaessigen Abstaenden kam es zu Zusammenstoessen, die die Wirklichkeit leider unbeeinflusst lassen“.
Textfragmente fangen irgendwo an und hören mittendrin auf. Sie deuten darauf, dass es etwas zu erzählen gibt, ohne mehr als den Hinweis zu liefern. Die Bilder entstammen DDR-Lehrbüchern oder sind gezeichnete Andeutungen aus dem Fundus alltäglicher Absurdität. Wenn Kuhrmann über seine Arbeit redet, lächelt er – schüchtern oder verschmitzt, man weiß es nicht genau. Es ist eine Uneindeutigkeit, die nichts mit Unentschlossenheit zu tun hat. Tim Schomacker
bis 12.3. in der GadeWe. Öffnungszeiten: Di 15-19, Do 15-21, Fr 15-18 Uhr
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