: Wahlen in einem desillusionierten Land
Zahlreiche Menschen im Iran haben ihre Hoffnung auf Reformen verloren. Sie sehen keine Möglichkeit mehr, politische Veränderungen herbeizuführen. Bei den Parlamentswahlen am Freitag gilt ein Sieg der Konservativen daher als sicher
AUS TEHERAN KARIM EL-GAWHARY
„Ein Schachspieler mit nur noch einem traurigen Rest Figuren“, so beschreibt ein Teheraner Geschäftsmann den iranischen Präsidenten Mohammed Chatami. Am Freitag wird Chatami, der einst im Namen der Reform angetreten ist, eine weitere wichtige Schachfigur verlieren. Bei den Wahlen zum Madschlis, dem iranischen Parlament, daran bestehen kaum noch Zweifel, werden die Konservativen die Volkskammer zurückerobern. Und das nicht, weil die Konservativen in der Islamischen Republik neuerdings wieder populär geworden sind, sondern weil die Mehrheit der reformbereiten Iraner, vor allem in den großen Städten, jegliches Interesse an der Volksabstimmung verloren hat.
Entschieden wurde die Wahl bereits im Vorfeld, als der Wächterrat, ein mit Hardlinern bestücktes Gremium, über 2.300 Reformern die Kandidatur verweigerte. Es ist eine der Besonderheiten des iranischen System, dass ein von Geistlichen bestimmtes Gremium als „politischer Filter“ fungiert und unliebsame Bewerber für die Wahlen als vermeintlich „unislamisch“ aussiebt. Zahlreiche der verbliebenen Reformbewerber legten daraufhin ihre Kandidatur aus Protest nieder. Damit können die Konservativen bei fast der Hälfte der Parlamentssitze ohne jegliche Konkurrenz antreten.
Bei den meisten Iranern führte das allerdings anstatt zum Aufschrei nur zum Schulterzucken. „Die Konservativen kontrollieren den Wächterrat, die Revolutionsgarden, das Gerichtswesen, Fernsehen und Rundfunk und die religiöse geistliche Führung des Landes, da macht die erneute Übernahme des Parlaments auch nichts mehr aus“, sagt der Geschäftsmann resigniert. Herrschte nach den letzten Wahlen vor vier Jahren noch großer Enthusiasmus, dass das damals von den Reformern übernommene Parlament sich als Instrument der Veränderung erweisen könnte, haben die meisten Iraner diese Illusion inzwischen aufgegeben. Gegen die von den Konservativen kontrollierten Säulen des Staates konnten die Volksvertreter wenig ausrichten. Da wird auch der jüngste Aufruf Chatamis, an die Urnen zu gehen, wenig nutzen.
„Es gibt für uns einfach keine Werkzeuge, um eine Veränderung herbeizuführen“, sagt eine junge Teheraner Sekretärin niedergeschlagen. Sie hatte gehofft, dass die Reformer im Parlament mehr gesellschaftliche Freiheiten, vor allem für die Frauen, erkämpfen. Deswegen ist sie letztes Mal wählen gegangen – und deswegen geht sie am Freitag nicht mehr hin. „Die Iraner dachten, mit der Wahl von Chatami und den Reformern hätten sie eine Opposition innerhalb des Systems geschaffen. Nun sind zu dem Schluss gekommen, dass das nicht funktioniert“, beschreibt der iranische Wirtschafts- und Politikforscher Muhammad Muini die Lage. Genauso wie die Konservativen mit ihren restriktiven Gesellschaftsvorstellungen unbeliebt sind, sind die Reformer mit ihrer Unfähigkeit, sich durchzusetzen, diskreditiert.
Die Frage der Höhe der Wahlbeteiligung wird über die zukünftige Rechtmäßigkeit der Volkskammer entscheiden. Das weiß auch die religiöse Führung der Islamischen Republik. Doch feurige Aufrufe Ajatollah Ali Chameneis, des geistlichen Führers des Landes, am Freitag zur Wahl zu gehen und „den Feinden des Landes dadurch eine Ohrfeige zu verpassen“, stoßen auf viele taube Ohren.
Auf die Frage nach dem Wahlgang erntet man zumindest in den Straßen Teherans fast immer ein Kopfschütteln, das ohne Zögern kommt. „Wer am Freitag wählen geht, ist ein Verräter“, erklärt ein junger Ingenieur gar und lehnt spöttisch einen Handzettel ab, in dem ein Teheraner Kandidat für seine Wahl wirbt. „Wozu wählen, wenn die Kandidaten schon zuvor ausgesucht worden sind“, sagt er. Allzu oft wird er ohnehin nicht an die Wahlen erinnert. Nur wenige Transparente auf den großen Plätzen der Stadt und gelegentlich verteilte Flugblätter zeugen überhaupt davon, dass am Freitag ein wichtiger Termin ansteht.
Muini sieht zwei Gruppen von Nichtwählern: jene, die damit ein bewusstes politisches Statement abgeben wollen, und jene, die Mangels Veränderung jegliches Interesse an Politik verloren haben. Aber er warnt auch davor, die Mobilisierungskraft der Konservativen zu unterschätzen. In Moscheen, Sparklubs und anderen Vereinigungen könnten sie vor allem außerhalb der großen Städte sogar nach am Wahltag mobilisieren und die Wahlbeteiligung ein wenig nach oben bringen. Eine aktive konservative Minderheit werde versuchen, sich der politischen Apathie der Mehrheit entgegenzustemmen.
Doch aller Voraussicht nach wird der nächste konservative Madschlis Mangels Wählermasse seine Legitimität verlieren. „Die Menschen werden aufhören, an das System zu glauben“, prognostiziert Muini eines der Ergebnisse der Parlamentswahlen. Doch dass die Menschen sich als Konsequenz radikal gegen das System richten werden, zweifelt er an. „Die Leute stellen eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf“, glaubt er. „Nur 25 Jahre nach der Islamischen Revolution gegen den Schah und nach acht Jahren Krieg mit dem Irak sind die Menschen jeglicher erneuten Umwälzung überdrüssig“. So treten die Iraner aller Voraussicht nach auch nach den Wahlen weiter auf der Stelle: unfähig zur Reform und zu müde zur Rebellion.
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