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Die Angst der Turkmenen

Im nordirakischen Kirkuk fühlt sich nach dem Einmarsch der Kurden jetzt die turkmenische Minderheit unterdrückt

aus Kirkuk MARCUS BENSMANN

Der zwölfjährige Achmed Maschid Saleh spielte am Dienstagabend vor dem Büro einer turkmenischen Partei in Kirkuk, als eine Kugel seinen Oberschenkel durchschlug. Der Junge wurde Opfer einer Schießerei, die weitere vier Verletzte forderte. In einem überfüllten Krankenzimmer liegt Achmed Maschid in dem von amerikanischen Soldaten bewachten Krankenhaus und steht im Mittelpunkt einer propagandistischen Auseinandersetzung. Der Sprecher der irakisch-turkmenischen Front in Kirkuk, Ali Mehedi, macht die KDP, die Kurdische Demokratische Partei, für den Zwischenfall verantwortlich. „Die Peschmergas haben das Büro angegriffen, und wie immer weist deren Führung jede Verantwortung von sich.“

Der verletzte Junge ist aber Kurde, und sein Bruder am Krankenbett, der bei der Schießerei dabei war, hat eine andere Version zu erzählen. „Betrunkene Turkmenen lieferten sich eine wilde Schießerei. Peschmergas waren gar nicht dabei.“ Dagegen sagt ein ebenfalls in der Schießerei verletzter Turkmene, ein gewisser Abbas habe vor dem turkmenischen Büro verlangt, die Flagge mit dem Halbmond einzuholen, und dann das Feuer eröffnet. Dieser Abbas, so fügt ein anderer Patient hinzu, sei jedoch halb Turkmene und halb Kurde. In einer hitzigen Diskussion am Krankenbett streiten sich der Turkmene und der Bruder des verletzten Jungen, wer denn nun für den Vorfall verantwortlich ist.

Der angeschossene Achmed Maschid Saleh ist nicht das erste Opfer nach der Eroberung von Kirkuk. Am Montag wurde auf der Hauptstraße der Stadt der 13-jährige Turkmene Fuad Mohsim erschossen. Dessen Tod hatte zu Demonstrationen der turkmenischen Bevölkerung in Kirkuk geführt, auf der die Demonstranten unter anderem forderten, die Türkei solle endlich den Turkmenen zu Hilfe kommen. Der Vorsitzende der turkmenischen Einheitsfront in Kirkuk, Mustafa Kamal Jajichri, beschuldigt die kurdischen Parteien, die Turkmenen aus Kirkuk planmäßig vertreiben zu wollen. Er händigt eine Liste aus, auf der die Namen von neun Turkmenen stehen, die in den letzten drei Tagen gewaltsam zu Tode kamen. Der Vorsitzende sitzt in einem schummerigen Büro in Sichtweite der gestürzten Saddam-Hussein-Statue. Er ist umgeben von Leibwächtern mit Kalaschnikows. „Wir mussten uns schnell Waffen besorgen, um uns vor den Peschmergas zu schützen“, sagt Jajichri. Er behauptet, dass in Kirkuk über eine Million Turkmenen wohnten und diese damit die Mehrheit in der nordirakischen Stadt bildeten.

„Kirkuk ist eine turkmenische Stadt“, sagt der Vorsitzende und bezieht sich dabei auf eine Volkszählung aus dem Jahre 1957. Der Vorsitzende der turkmenischen Front fordert nicht nur den sofortigen Abzug der bewaffneten Kurden aus Kirkuk, sondern auch die Rückführung der kurdischen Polizeikräfte, die seit zwei Tagen aus Suleimania und Arbil gekommen sind und den Straßenverkehr in Kirkuk regeln.

Jajichri bezieht sich dabei auf eine Abmachung mit dem amerikanischen General in Kirkuk, dass bis Dienstagabend alle bewaffneten Kurden die Stadt verlassen müssten.

Der Vorsitzende der KDP, Kamal Kirkuki, weist jeden Plan, die Turkmenen zu vertreiben, vehement von sich und bedauert die Todesfälle als tragische Unglücke. Für ihn ist Kirkuk weder eine kurdische noch eine turkmenische Stadt. Gleichwohl sieht er die Turkmenen in Kirkuk deutlich in der Minderheit. „Eine Millionen Turkmenen in Kirkuk, das ist einfach absurd, die sind nicht einmal 100.000“, fügt er hinzu und bezieht sich ebenfalls auf die Volkszählung von 1957. Viele Kurden sprächen tukmenisch und würden von den Turkmenen einfach mitgezählt, sagt der KDP-Chef.

Kirkuki bestätigt, dass die Peschmergas bald aus der Stadt abgezogen würden, und wenn man dennoch bewaffnete Kurden auf der Straße sehe, so gehörten sie der PUK, der Patriotischen Union Kurdistans, und nicht der KDP an. „Die kurdischen Polizeikräfte werden aber bleiben und weiter ihren Dienst tun“, bekräftigt der KDP-Führer.

Der amerikanische Presseoffizier in Kirkuk bestätigt, dass die Amerikaner die Entwaffnung der Stadt forcieren wollen, auch Hausdurchsuchungen schließe er nicht aus. Ab Donerstag sollen täglich Treffen der verschiedenen turkmenischen und kurdischen Parteien stattfinden. Bisher patrouillieren amerikanische Soldaten an den wichtigten Straßen und Plätzen der Stadt und bewachen Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen. An den Zufahrtsstraßen nach Kirkuk haben die Soldaten Checkpoints errichtet und durchsuchen die ankommenden Autos nach Waffen.

Vor dem Hauptquartier der KDP hat sich der 57-jährige Turkmene Fuad Askar Mohamad eingefunden. Er beklagt, dass Peschmergas sein Haus beschlagnahmt hätten. Auf die Außenmauer des Gebäudes ist in roten Lettern PUK geschmiert worden. Das Schloss zu seinem Haus ist ausgetauscht. Durch die vergitterten Fenster blickt Mohamad in die Zimmer und sieht Speisereste und Kleidungsstücke, die augenscheinlich nicht ihm gehören. „Ich muss seit drei Tagen auf der Straße leben und kann nicht in mein Haus zurück“, beschwert sich der ausgesperrte Tukmene. Seine kurdischen Nachbarn haben jedoch wenig Mitleid für Mohamad übrig. Denn seine Frau habe für den irakischen Sicherheitsdienst gearbeit und Mohamad sei in der Baath-Partei gewesen.

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