: Beäugtes Shoppen
Im Rechtssenat gibt es nach wie vor Streit um Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen. Sicherheit bringen die Überwachungsaugen nicht
von KAI VON APPEN
Wenn Hamburgs Einzelhändler mit ihrem Vorsitzenden Ludwig Görtz an der Spitze über Sicherheit debattieren, träumen sie von Big Brother und möchten am liebsten auf allen Plätzen und in Einkaufsstraßen Videoüberagungskameras installiert sehen: „Je größer die Überwachung, je weniger die Kriminalität“, sagt Görtz gern. Ganz in diesem Sinne versucht Innensenator Ronald Schill seit einem Jahr, die Videoüberwachung in „öffentlichen Räumen“ durchzusetzen, doch außer Zoff innerhalb der Rechtskoalition ist dabei bislang nichts herausgekommen. FDP-Pressesprecher Christian Sommer macht die Ablehnung seiner Partei deutlich: „Es gibt keinen Entwurf, der diskussionsfähig ist.“
Denn die Novelle, die vor einem Jahr aus der Innenbehörde in die Schwarz-Schillfraktionen gereicht worden ist, ist vom kleinsten Koalitionspartner in der Luft zerrissen worden. „Eine flächendeckende Videoüberwachung wird es mit den Liberalen in dieser Koalition nicht geben“, beteuert Sommer: „Insofern gibt es da erstmal keinen Stand.“
Das räumt auch Innenbehördensprecher Thomas Modell ein, obwohl gerade von Schill und seinen Fraktions-Mannen immer wieder Beteuerungen kommen, noch in diesem Frühjahr werde der Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeigesetzes SOG (Sicherheit und Ordnung) unter Dach und Fach sein. Model sagt: „Das wird in den Fraktionen hinter verschlossenen Türen diskutiert, insofern sind wir als Innenbehörde zurzeit draußen.“
Dass die verfassungsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Einsprüche von BürgerrechtlerInnen, die offenbar von den Liberalen aufgegriffen worden sind, nicht unberechtigt sind, gesteht sogar der Zentralverband der Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI) ein – Entwickler und Hersteller solcher teuren Anlagen. Um dennoch die Städte zum Kauf solcher Anlagen zu bewegen, kommen Ideen auf, wie so genannte „Missbrauchsverhinderungarantien“ abzugeben. So könnten die High-Tech-Anlagen auf öffentlichen Plätzen mit Schutzdateien programmiert werden, so dass gewisse Sequenzen oder Geschäftseingänge selbst bei Übersichtsüberwachung nicht erfasst und observiert werden. Machbar sind laut ZVEI auch Programme, die sicherstellen, dass bei optischer Überwachung die Aufnahmen nicht gespeichert werden und die aufgenommene Szenerie nur bei der Beobachtung von Straftaten rückwirkend erfasst wird. Dabei sagen die Eletroniker allerdings auch, dass derartige Schutzmechanismen in der Praxis leicht umschifft werden können.
In der Regel sollen aber Überwachungssysteme angeschafft werden, die einfach nur aufzeichnen. Und da herrscht bei Bürgerrechtlern und sogar Polizeiexperten Einigkeit, dass derartige Anlagen nicht mehr Sicherheit bringen. So hatte ein Bielefelder Modellprojekt für Nordrhein-Westfalen ergeben, dass die Zahl der Straftaten nach der Installation der Videoüberwachung im Ravensberger Park sogar um 50 Prozent zugenommen hat. „Videoüberwachung hilft konkret keinem Opfer. Wer in die unangenehme Situation kommt, überfallen zu werden, braucht sofortige Hilfe von anden Menschen“, so die Bielefelder Forscher von Verein FoeBuD. Und auch in anderen Städten ist die Erfahrung gemacht worden, dass Überwachungkameras an Brennpunkten lediglich zu einer Verdrängung der Szene in Wohngebiete geführt hat. Im Gegenzug verletze die Observation das rechtsstatliche Gebot der Unschuldsvermutung.
Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hans-Hermann Schrader hat daher gegen Videoüberwachung große Bedenken, sieht es im Moment aber noch gelassen: „Es liegt kein konkreter Gesetzentwurf zur Abstimmung vor und ist wohl auch nicht in Planung.“ Dennoch findet er die allgemeine Entwicklung unter dem Verweis auf die Biometrischen Stempel, DNA-Analysen, akustische Überwachung und Handy-Ortung bedenklich: „Da wächst vieles zusammen, was nicht zusammengehört.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen