: In Bremen gibt es Werder
Auch in der kommenden Saison bleibt der FC Oberneuland der zweit-erfolgreichste Fußballverein in Bremen. Doch das wird wieder keinen interessieren
„In Bremen“, sagt Carsten Huning, „in Bremen gibt es nur Werder. Punkt.“ Carsten Huning ist Trainer des Fußball-Oberligisten FC Oberneuland und hat sich längst an die kollektive Missachtung der Bremer Fußballfans gewöhnt. Dabei spielt sein Klub bereits im achten Jahr in der vierthöchsten Klasse und seit einer guten Serie in den letzten Monaten ist trotz aller Unkenrufe zu Beginn der Saison klar: Es wird auch ein neuntes geben.
Ein neuntes Jahr voller Undank. Denn selten verlieren sich mehr als 250 Zuschauer in den Sportpark Vinnenweg. Fernsehgelder gibt es nicht, und Hauptsponsor Holzkamm sprang schon vor der Saison ab. Das alles in einer Liga, in der rund die Hälfte der Vereine in naher Vergangenheit insolvent waren, kurz davor standen oder es bald sein werden. Beim FCO sorgt ein Mäzen, der Architekt Holger Michaeli, für die Bezahlung der 23 Halb- oder Viertelprofis. Eine Tatsache, die, so Huning, auch in Bremen und Umgebung für Aufmerksamkeit sorgte: „Aber eher in Sachen Neid.“
Dabei ist es so schön in Bremens Nobel-Viertel. Ideal für stresslose Familienausflüge. Golf-, Tennis- und Hockeyplätze liegen in Steinwurfweite, und wenn die Sonne auf die 1999 erbaute Tribüne (450 Plätze) scheint, ist’s richtig mollig warm dort. Lebendig gewordene Fußballfan-Klischees sind unbekannt. Selten tauchen solche im Schlepptau der jeweiligen Gastmannschaft auf, lärmen dann auf der anderen Seite und sorgen so für richtige Atmosphäre. Der SV Meppen oder – deutlich zu sehen beim 0:0 neulich – der VfB Oldenburg haben solche Fans.
Bei schlechterem Wetter findet sich bestimmt noch ein Plätzchen in der Vereinskneipe über der Tribüne. Ein Logenplatz sozusagen; im normalen Fußballalltag unbezahlbar, in Oberneuland in der fünf-Euro-Karte inbegriffen. Wenn überhaupt jemand abkassiert. Denn nicht alles funktioniert im Verein so gut wie die Mannschaft.
Eine Stadionzeitung gibt es nicht mehr und auch eine Pressekonferenz nach dem Spiel nicht. „Früher haben wir das im großen Stil gemacht“, heißt es. Auch die Internetseite verkündete bis vor kurzem noch das Ergebnis vom dritten Spieltag der vergangenen Saison. Aber die Jungs auf dem Rasen können mit dem Ball umgehen.
In dieser Liga tummeln sich Fußball-Abenteurer. Junge Spieler, für die diese Klasse entweder das Sprungbrett nach oben ist oder – der häufigere Fall – die Sackgasse einer Laufbahn mit nie erfüllten Profiträumen. Auch altgediente Fernsehstars sind hier zu finden. Borowka, Sidka, Hermann – alte Werder-Helden – waren die Vorgänger Hunings auf dem Trainerstuhl. Und auf dem FCO-Platz steht zum Beispiel Ersan Dogu.
Der 30-Jährige ist schon viel rumgekommen. Spielte bei Werder, später bei Galatasaray Istanbul („Plötzlich war ich einer der oberen 10.000“). Der Bauch und das rote, werbefreie, halb aus der Hose hängende Adidas-Trikot lassen ihn eher wie einen Kicker aus Bremens Wilder Liga erscheinen, aber auf dem Platz macht ihm keiner was vor. Aufstiegsaspirant Oldenburg, auch ein alter Verein Dogus, stellte meist gleich zwei Spieler auf den Stürmer ab – ohne eine paar Kabinettstückchen verhindern zu können.
Dogu wird bleiben. Seine Sehnsucht nach höheren Gefilden ist seiner beruflichen Karriere als Diplom-Ökonom gewichen. Aus Träumen ist Realitätssinn geworden. „Ich kann nur etwas besser Fußball spielen als Otto Normalverbraucher. Deswegen bin ich kein besserer Mensch.“ Besonders die Istanbul-Zeit („meine wichtigste Erfahrung“) war prägend. „Alles zerrte an uns herum, ich konnte keinen Schritt alleine gehen. Seitdem weiß ich, wie schön es ist, in der Anonymität zu leben.“ Ersan Dogu ist wohl richtig hier.
Ole Rosenbohm
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