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Kein Titel für die Ewigkeit

Bayern München gewinnt irgendwo in Niedersachsen zwar seinen 18. Meistertitel, doch die richtig große Freude darüber kommt nicht auf. Schließlich bleibt 2003 trotz allem die Saison, in der man im Oktober aus der Champions League ausschied

aus Wolfsburg PETER UNFRIED

Eines Tages irgendwann, vielleicht schon morgen, wird der Super-Kalle zum Uli sagen: „Uli, wie war das eigentlich noch mal mit unserem Titelgewinn 2003?“ Dann wird ein seltener Moment des Schweigens einkehren. Und danach werden die beiden mit rot erleuchteten Bayern-Köpfen alle großen Momente ihrer Unternehmensgeschichte zusammen durchgehen, das ganze Paket. Bis sie irgendwann bei Hamburg 2001 gelandet sind. Ha! Samstage für die Ewigkeit. Aber 2003? Den Franz brauchen sie erst gar nicht zu fragen, das ist ja eh klar. Erstens aus Prinzip, zweitens war der sowieso nicht dabei, damals in … in … oh Gott, war das nicht in … Wolfsburg?

Es war in Wolfsburg, ein grauer, seltsam schwüler Samstag. Und Uli Hoeneß, Manager des FC Bayern München, stand nach dem 2:0 in der Mixed Zone und sagte, er sei „überglücklich“. Die anderen Bayern sagten das auch. Natürlich wurde im Volk sofort gemunkelt, sooo überglücklich sähen die gar nicht aus, aber erstens ist beides, Aussehen und Glück, immer interpretationsoffen, zweitens mag das Munkeln mit einer gewissen Enttäuschung zusammenhängen, dass die großen Emotionen nicht eingelöst wurden, für die man sich den Fußball ja letztlich hält. Drittens ist ja vielleicht was dran.

Der obligatorische Superlativ ist da: Titelgewinn am 30. Spieltag. Das ist das Resultat einer „Saison, die wir klar dominiert haben“, wie Michael Ballack sagte. Das stimmt und ist eine Leistung. Nichtsdestotrotz hätte mancher gern etwas mehr gehabt, zuvorderst Hoeneß, der nicht nur die Saison, sondern auch sein Team als „blass“ bezeichnet hat – natürlich immer im internen Ranking, wo ja auf höchstem Niveau verglichen wird.

Das Spiel war jedenfalls nicht schlecht, der FC Bayern entschlossen, gut organisiert. Die Stürmer Elber und Pizarro wirkten wiederbelebt – auch weil der nach sieben Wochen Verletzungspause zurückgekehrte Michael Ballack speziell ihnen gut tat und generell Kreativität, Rhythmus und Intuition mitbrachte. Die Emotionen aber waren dann im Wesentlichen eine Sache von 60 Sekunden: Nach Elbers 1:0 (59.) jubelte die Bayern-Ecke, im Rest der Arena war ein paar Sekunden Stille. Und in diese hinein klackte der fast schon erwartetete Gong der Anzeigentafel, der ein Tor in einem anderen Stadion ankündigt – natürlich das 1:1 der Rostocker in Stuttgart, das den FC Bayern zum Meister machte. Der Rest war Warten auf den Schlusspfiff, unterbrochen von Pizarros 2:0 (83.).

Das anschließende Feiern der 18. Meisterschaft hatte – obwohl alle sagten, sie hätten „nie heute damit gerechnet“ – eher etwas Habituelles: Wie Trainer Ottmar Hitzfeld im langen Mantel schnell seine berühmten Umarmungen absolvierte und hinterher von einer „riesigen Überraschung“ sprach – es klang, als habe er gerade ein Geschenk seiner Schwiegermutter ausgepackt. Wie der seit Jahren dafür zuständige Giovane Elber pflichtschuldigst das überdimensionale Weizenbierglas stemmte usw. usw. …

Was ist dieser Titel für den FC Bayern wert? Erstens, für den Klub: „Die Bundesliga ist immer das Wichtigste“, sagt Hoeneß. Zweitens, für den Trainer: In Ottmar Hitzfelds fünftem Jahr hat Bayern den vierten Titel gewonnen, das ist eine Quote, die selbst den Bayern-Schnitt (17 in 38 Bundesligajahren, dazu 1932) deutlich übertrifft. Drittens, das Team betreffend: Im Jahr nach Effenberg hat man trotz diverser fußballerischer Probleme sowie der unternehmensschädlichen K.-u.-K.-Affären (Kahn und Kirch) eine Art Neuaufbau vorangetrieben und sogar eigene Talente herausgebracht (Feulner, Schweinsteiger).

Kann man den Bayern vorwerfen, dass sie den Titel ohne rechte Gegenwehr gewonnen haben? Naja, nur wenn man argumentiert, sie hätten mit dem hintenrum von Kirch eingesteckten Geld den anderen die besten Leute abgekauft (Ballack und Ze Roberto). Jedenfalls ist ein Jahr mit Titelgewinn ja wohl kein schlechtes, noch dazu, wenn man im Pokalfinale steht. Trotzdem ist es interessant, dass Hoeneß noch in Wolfsburg nicht über Wolfsburg redete, sondern schnell wieder über das, was er „die Sahne im Kaffee“ nennt: die Champions League. Und da natürlich nicht über Hinz oder Kunz, sondern, natürlich: über Real Madrid. Beziehungsweise über Bayern im Zusammenhang mit Real. Man sehe es ja am Beispiel von Real, das das beste Team in Europa sei, aber in der Primera Division alle Hände voll zu tun habe: „So ein Vorsprung“, wie ihn die Bayern haben, so Hoeneß, „geht nur ohne Champions League.“

So wäre 2003 ein recht erfolgreiches Zwischenjahr gewesen – wenn es so was bei den Bayern gäbe. Aber so was gibt es nicht. Wenn also der Kalle sich dereinst doch erinnert, wird er sagen: 2003 war die Saison, als man im Oktober aus der Champions League ausschied. Das Jahr der schlimmstmöglichen „Blamage und Schande“. Ein kleiner Teil davon ist, dass man seinen Titel in …, in …, ach ja, in Wolfsburg gewann – und nicht in Madrid.

VfL Wolfsburg: Ramovic - Rytter, Biliskov, Schnoor, Rau - Weiser, Thiam, Karhan (64. Präger) - Ponte (77. Peter Madsen), Klimowicz (62. Maric), PetrowFC Bayern München: Kahn - Sagnol, Robert Kovac, Linke, Lizarazu - Schweinsteiger (79. Feulner), Ballack, Jeremies (84. Fink), Ze Roberto - Elber (72. Santa Cruz), PizarroZuschauer: 30.000 (ausverkauft); Tore: 0:1 Elber (59.), 0:2 Pizarro (83.)

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