piwik no script img

Port-au-Prince erwartet die Rebellen

In Haiti wollen die Rebellen schon am Wochenende die Hauptstadt erobern. Frankreich lässt Präsident Aristide fallen und fordert seinen Rücktritt, während bei der UNO in New York die Bemühungen um eine diplomatische Lösung weitergehen

AUS SANTO DOMINGOHANS-ULRICH DILLMANN

Die Tribünen vor dem weißen Präsidentenpalast im Zentrum von Port-au-Prince sind noch nicht abgebaut. Am Dienstag waren noch tanzende Menschen am Amtssitz von Präsident Jean-Bertrand Aristide vorbeigezogen, um Karneval zu feiern. Jetzt liegt der Palast wie ausgestorben in der Mittagshitze. Zwei riesige Jahreszahlen stehen auf den massiven Mauern des zweiflügeligen Gebäudes. In der einen gerinnt Haitis Geschichte: „1804“, als am 1. Januar die Sklaven auf dem frankophonen Teil der Insel Hispaniola die Herrschaft der französischen Kolonialherren abschüttelten. Die andere Zahl – „2004“ – wird dieser Tage zum neuen historischen Eckdatum.

Rund um das nach wie vor geschmückte Gelände hat sich die Präsidentenwache hinter Sandsäcken verschanzt. Großkalibrige Maschinengewehre sind drohend gegen noch nicht sichtbare Gegner des Amtsinhabers gerichtet.

Knapp 13 Jahre nachdem Aristide seinen Eid auf die Verfassung ablegte, sind weite Teile des Landes nicht mehr unter Regierungskontrolle. Fast jeden Tag wird die Einnahme einer weiteren Ortschaft durch die bewaffnete „Front zur Befreiung und nationalem Wiederaufbau“ gemeldet. Aristide scheint zum Widerstand entschlossen. „Ich bin bereit mein Leben zu opfern, wenn dies zur Verteidigung meines Landes nötig ist“, erklärte er immer wieder. Einen vorzeitigen Rücktritt lehnt der umstrittene Staatschef ab, der inzwischen seine beiden Töchter zu den Großeltern in die USA bringen ließ. Seine verfassungsmäßige Amtszeit ende am 7. Februar 2006, so Aristide, erst dann werde er sein Büro freiwillig verlassen. Nachgeben wäre ein Sieg des Terrorismus.

Die Anhänger des Präsidenten, die es noch immer gibt und die ihn einst in das heute abgeriegelte Gebäude brachten, bereiten sich auf die Verteidigung ihres „Titid“ genannten „kleinen Aristide“ vor. Die Wege auf die Anhöhen von Pétionville sind teilweise durch quer gestellte Autowracks nur noch im Slalom passierbar. Container stehen bereit, um die Straßen hermetisch abriegeln zu können. Die Ausfallstraßen in den Südwesten und in den Norden sind von zum Teil mit Gewehren bewaffneten Aristide-Anhängern zur Verteidigung der Hauptstadt vorbereitet. „Wir sind zum Widerstand bereit“, sagt ein Barrikadenwächter. Ein anderer ist sich sicher: „Sie mögen kommen, aber sie werden nicht durchkommen.“

Aus der Dominikanischen Republik ist eine Gruppe haitianischer Polizisten und Zollbeamten zurückgekehrt. Sie waren in den letzten Wochen über die Grenze geflohen, als mehrere Grenzstädte in die Hände der Aufständischen fielen. „Wir werden Aristide verteidigen“, sagt einer der Polizisten.

Derweil gehen die diplomatischen Bemühungen in Washington, New York und Paris weiter. Frankreich fordert Aristide inzwischen zum Rücktritt auf. Er trage die Verantwortung für die Situation, sagte Außenminister Dominique de Villepin.

Noch gestern wollte in New York der UN-Sicherheitsrat über Haiti beraten. Die USA stehen laut dem Sprechers des Außenministeriums, Richard Boucher, im Gespräch mit den Karibischen Staaten (Caricom), Frankreich und Kanada über eine multinationale „Sicherheitsgruppe“. Die Chancen für den Einsatz einer UN-Blauhelmtruppe sind allerdings gering. Denn sie brauchte die Zustimmung der Konfliktparteien. Aristide klebt jedoch kompromisslos an seinem Amt, und für die oppositionelle „Demokratische Plattform“ ist gerade sein Rücktritt eine Conditio sine qua non.

Die bewaffneten Rebellen der „Front für die Befreiung und den nationalen Wiederaufbau“ scheren sich um diese diplomatischen Finessen nicht. Sie werden auch nicht gefragt. Dafür bauen sie ihre Kontrolle über die fünf der neun von ihnen besetzten Departements aus. Der Militärbefehlshaber der Rebellen, der Expolizist Guy Philippe, kündigte für die nächsten Tage den Sturm auf Port-au-Prince an. Ein Datum hat Philippe auch schon ins Auge gefasst. Am Sonntag den 29. Februar soll die Hauptstadt fallen. „Um nichts in der Welt würde ich mir die Chance entgehen lassen, an diesem Tag in Port-au-Prince zu sein“, sagt er. Dann ist sein 36. Geburtstag.

meinung und diskussion SEITE 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen