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„Der Kanzler ist doch nicht Gott!“

Gerhard Schröder kämpft um seine Agenda 2010. Bei der zentralen 1.-Mai-Kundgebung des DGB haben aber seine Gegner das Sagen

aus Neu-Anspach HEIDE PLATEN

Fachwerkhäuser, Bauernkaten, Scheunen und Werkstätten – das Freilichtmuseum Hessenpark am Rande des Taunus ist eine perfekte Kulisse: alles vom Alten. Arbeitsam, arm, aber ehrlich waren die Menschen dunnemals im schönen Hessenland, lernen die Besucher des Freizeitparks in original möblierten Bauernstuben und auf didaktischen Schrifttafeln. Auch der kopfsteingepflasterte Marktplatz, die Bäckerei und das Wirtshaus Zum Adler sind museal. Die zentrale 1.-Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes wollte dies trotz des Ambientes so recht nicht sein. Dem Modernisierungskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seiner Reformagenda 2010 hat die Veranstaltung gestern dennoch öffentlich den Kampf angesagt. Der Fehdehandschuh wurde moderat geworfen. „Sehr verehrter Herr Bundeskanzler“, ging DGB-Vorsitzender Michael Sommer zum Gastredner Schröder einerseits auf Distanz. „Lieber Gerhard“, sagte er aber andererseits doch zu seinem Genossen Schröder.

Der war kurz vor zwölf Uhr auf das Podium geklettert wie auf einen heißen Stuhl. Mit steinerner Miene und hinter dem Rücken verschränkten Händen hörte er das Protestgeschrei, die Buh- und Pfuirufe, die Trillerpfeifen. Denen, die „auf den Trillern pfeifen“, konstatierte er gleich zu Beginn seiner Rede zwar „volle Backen, aber wenig im Kopf“. Und beschwor die Weltwirtschaftslage, appellierte an die Solidarität vor allem der „internationalen Arbeiterbewegung“, sich in Zeiten globaler Veränderungen in Europa und der Welt den neuen Anforderungen der Wirtschaftslage zu stellen. Die Agenda 2010 habe nur „ein einziges Ziel: dieses Deutschland fit zu machen“ für den weltweiten Wettbewerb. Wer glaube, er könne „am Althergebrachten festhalten“, bremse den Fortschritt. Schröders Kanon war vorgegeben: Sparpolitik in den Gemeinden, keine neuen Schulden, Lohnnebenkosten „runterbringen“, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen usw. usf.

Der Kanzler ackerte, Schweiß auf der Stirn, in wechselhaftem Wetter, Sonne, Regen, dunkle Wolken. Die Massen waren ausgeblieben, die Protestierer deutlich in der Überzahl. Neben Sektierern von Splitterparteien und den Globalisierungsgegnern waren aber auch viele zornige Kollegen aus von Entlassungen bedrohten Betrieben gekommen. „Wir machen nicht immer, was der Schröder will! Der Kanzler ist doch nicht Gott!“, sagt ein Kali-Kumpel empört. Sein Kollege Robert Klüh (57) aus Neuhof, Helm und Grubenlampe auf dem Kopf, hält ein Transparent gegen Sozialabbau fest gegen die Windböen. Insgesamt sei seine Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie dem Kanzler besser gesinnt als zum Beispiel die Frankfurter IG Metall, die den Regierungschef als Redner am liebsten demonstrativ ausgeladen hätte. Klüh bewundert „den Schöder“: „Der hat, unter uns Männern, viel am Arsch und viel Mut. Und irgendetwas muss ja geschehen.“ Was, das weiß auch Robert Klüh nicht so genau. Andere Kollegen sind nicht so versöhnlich. „Schäm dich, Schröder!“ steht auf den Transparenten. Und: „Selbst Hunde brauchen eine Ausbildung!“ Immer wieder rufen sie ihm „Heuchler!“, „Lügner!“ zu. Manchmal dreht Schröder sich seitlich, zeigt der Menge die Schulter, der rechte Fuß schwingt vor den linken, als wolle er eigentlich am liebsten auf dem Absatz kehrtmachen. „Ich habe“, sagt er zum Ende, „zur Kenntnis genommen, dass es sehr viel Protest gegen die Vorschläge gibt.“ Und tarockt nach: „Auch Protest, der keine reale Grundlage hat.“

Die Replik des neuerdings politischen Gegners hört er wieder in Grundposition, Kinn vorgereckt, Nase hoch, Hände auf dem Rücken. DGB-Chef Michael Sommer klingt verbindlich im Ton und betont immer wieder, dass er es aber hart in der Sache meine. Schröder müsse endlich handeln. Sozialabbau schaffe keine Arbeitsplätze. Die Politik nüsse sich endlich zu drastischen Maßnahmen auch gegen die Reichen und die Unternehmen entschließen. Schröder dürfe nicht immer nur mit der Ausbildungsabgabe drohen: „Führe sie endlich ein!“ Deutschland dürfe nicht „zur Minijob-Republik“ der Unternehmer verkommen: „Wer Qualität verkaufen will, muss auch Qualität bezahlen!“ Gewinne ließen sich auf Dauer nur mit neuen Ideen, neuen Produkten und der Erschließung neuer Märkte machen.

Der DGB, so Sommer auf Konfrontationskurs, werde sich auch einer „Basta-Republik“ nach Kanzlermanier entgegenstellen. Niemand könne gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren. Der marode Staat dürfe sich das Geld nicht nur bei Arbeitnehmern und Verbrauchern holen, er müsse auch Unternehmen, große Vermögen, Aktiengewinne angemessen besteuern. Investitionen der Kommunen fördern. Kurz und knapp: Er müsse eine „andere Wirtschafts- und Finanzpolitik“ betreiben. Sommer bediente sich dabei des Vokabulars seines Vorredners: „Wir brauchen mehr Effizienz und wirklichen Wettbewerb.“ Das gelte auch für das Gesundheitswesen, die Pharmaindustrie, für Notare und Architekten und Professoren.

Er wandte sich gegen eine Verteufelung der Gewerkschaften „wie weiland in der Sterbephase der Weimarer Republik“ vor allem durch die Arbeitgeberverbände: „Ihnen ist alles ein Dorn im Auge, was ihrem plumpen Egoismus im Wege steht.“ In Deutschland gebe es keine Mehrheit für „US-amerikanische Verhältnisse“, „weder im Völkerrecht noch im Arbeitsrecht“. Während Sommer und „der liebe Gerhard“ einen kurzen Händedruck wechselten, harrte der Liedermacher Konstantin Wecker am Bühnenrand aus und fragte nach dem Wichtigsten: „Wo sind denn die Musiker?“

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