village voice: Im Bett mit Jazzanova: Clara Hill polstert ihren Soul-Bunker
Vom Cover eines Albums auf den Inhalt zu schließen, dieses Spielchen ist uralt. Trotzdem macht es immer wieder Spaß. Und oft liegt man gar nicht so weit daneben. Also: Auf dem Cover ihres Debüt-Albums „Restless Times“ sieht man die Berliner Soul-Sängerin Clara Hill den Kopf schütteln. Ihre Augen hat sie fest geschlossen, die Hände streckt sie vor sich. Eine Möglichkeit: Clara Hill wippt konzentriert im Takt ihrer Musik und greift dabei in die Tasten eines imaginären Rhodes-Pianos. Die andere Möglichkeit: Clara Hill will das ungebremste Chaos dieser Welt nicht weiter mit ansehen und sucht nach Halt. Was stimmt? Am Ende vielleicht beides.
Denn während der Titel „Restless Times“ darauf verweist, dass heutzutage alle paar Sekunden ein Flugzeug abstürzt oder eine U-Bahn in die Luft fliegt und sogar der Winter, heute weit unter null, morgen zweistellig im Plus, nicht mehr weiß, wohin mit sich, offenbart sich beim Anhören des Werkes ein süßes Gegenrezept: Vor all dem Getöse und Gejammer da draußen probt Clara Hill mit kuschelweichen Soul-Grooves den Rückzug. Mollige Rhodes-Vibes als Schutzmauer. Cocooning im Soul-Bunker, sozusagen. Was könnte daran schlecht sein? Zugute kommt Hill bei ihrer Mission, dass sie – anders als andere Jung-Vokalisten, die ebenfalls Stevie Wonder als Vorbild nennen – über eine Stimme verfügt, die tatsächlich unter die Haut zu fahren weiß. Spätestens der Song „No Use“, Hills Beitrag zu der Jazzanova-Erfolgs-LP „In Between“, zeigte dies.
Dass sich die Geschicke der Sängerin seitdem eng an Jazzanova und deren Label Sonar Kollektiv binden, wundert da nicht, und so zeichnet das Produzenten-Duo Extended Spirit, seines Zeichens Studio-Rückgrat von Jazzanova, nun auch für einen Großteil von „Restless Times“ verantwortlich. Das Prinzip ist bekannt: Wenn Timbaland oder die Neptunes für Sängerinnen arbeiten, geht’s auch nicht ums Ausknobeln einer neuen Ästhetik, sondern ums Überstülpen der Hitformel.
Nur ist der hochglanzpolierte Club-Jazz von Extended Spirit, trotz seiner trickreich gesetzten Streicher-Samples und Offbeat-Synkopierungen, vielleicht gar nicht der Sound, der Clara Hills Stimme am besten zur Geltung bringt. Die Stücke, die Hill mit den Produzenten Funès und Tilman Jarmer aufgenommen hat, wissen fast besser zu gefallen. Das Glanzlicht des Albums geht allerdings doch noch auf das Extended-Spirit-Konto: Der Folk-angehauchte Ohrwurm „Morning Star“, ein Duett mit dem Sänger Thief, lässt Trademark Trademark sein und überrascht mit Dub-Reggae-Schleifen und subtilen Jan-Jelinek-Klicker-Beats. Mancher Hörer wird aber sogar über dieses Kleinod von Song ins Gähnen geraten.
Aber vielleicht fällt es auch nur aus Berliner Perspektive schwer, Clara Hills Musik aufregend zu finden – kennt man die Schmusigkeiten der Jazzanova-Clique hier nun doch schon am längsten und ist auf der Suche nach frischen Kicks längst zu 80er-Trash-Koketterien weitergezogen. Hill soll’s egal sein: Sie fliegt für Auftritte nach Spanien, Italien und zum monatlichen Sonar-Kollektiv-Gastspiel ins Londoner Hipster-Viertel Shoreditch, in New Yorker Clubs feierte sie im Duett mit dem Prenzlberger Crooner Georg Levin zuletzt einen Hit, und ihre Web-Adresse endet nicht auf „.de“, sondern auf „.com“. Schade eigentlich – gäbe es doch auch hier durchaus Bedarf nach Plätzen in ihrem soft ausgepolsterten Soul-Bunker.
JAN KEDVES
Clara Hill „Restless Times“ (Sonar Kollektiv/Rough Trade) www.clarahill.com
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