: Die Blaupause des Aufbruchs
Der Glanz des neuen Südafrika: Kwaito war einst der Soundtrack zum Ende der Apartheid. Heute ist er ein florierendes Genre, in dem sich auch das Unbehagen an den Problemen des Landes artikuliert. Zwei neue Compilations bieten einen Überblick
VON THOMAS WINKLER
In einem Minitaxi sitzen Vergangenheit und Gegenwart friedlich nebeneinander. Aus den Boxen drängt ein programmierter Beat, der Fahrer klopft den Rhythmus auf dem Lenkrad. Hier, in den Millionen von Kleinbussen auf den gut ausgebauten Straßen Südafrikas, hier wird entschieden, ob ein Lied zum Hit, ob ein Sänger zum Star wird. Hier, auf den endlosen Fahrten zwischen Townships und Industriegebieten, wurde Kwaito zu dem, was er ist: der Sound des neuen, demokratischen Südafrika und eine der wenigen gut funktionierenden Branchen des Landes.
Am 27. April wird sich zum zehnten Mal der Tag jähren, an dem mit den ersten freien Wahlen das Ende des Apartheid-Regimes festgeschrieben wurde. Aber schon zu den offiziellen Feierlichkeiten im vergangenen Jahr musste Präsident Thabo Mbeki die Bühne in der Hauptstadt Pretoria mit einem heller leuchtenden Star teilen: Kwaito-Star Mzekezeke intonierte auf Drängen des obersten Südafrikaners gleich zweimal seinen Hit „Sguga ngama dolo“. Dem in der Öffentlichkeit sein Gesicht stets hinter einer Maske verbergenden Mzekezeke war der Jubel von 20.000 Menschen sicher.
Die Politiker sonnen sich gern im Glanz der neuen Popstars des Landes. Denn diese haben geschafft, woran die ANC-Regierung seit zehn Jahren eher erfolglos werkelt: die Überwindung der Apartheid nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im ökonomischen Sektor. Kwaito war in den Neunzigerjahren der Soundtrack der Befreiung. Heute ist er längst auch Ausdruck der Unzufriedenheit der zunehmend frustrierten Wählerschaft.
Kwaito entstand, als DJs die Umdrehungsgeschwindigkeiten ihrer Plattenspieler herunterdrehten, um aus England und den USA importierte House-Platten dem örtlichen Tanztempo anzupassen. Aus der straighten Ekstasemusik House wurde ein sinnlicher Sexbeat mit Chants aus der traditionellen afrikanischen Folklore und Einflüssen aus HipHop und Reggae. In den frühen Neunzigern kursierten dann die ersten Tracks auf Compilation-Kassetten.
Seitdem hat Kwaito eine atemberaubende Erfolgsgeschichte geschrieben, vergleichbar der von Rap in den USA – nur in doppelter Geschwindigkeit: Begonnen haben beide als Jugendkulturen, die Musik, Mode und Lebenseinstellung umfasste, und beide haben sich zu multimillionenschweren Industrien entwickelt. Auch wenn sich die eine in Dollar rechnet und die andere im vergleichsweise weichen Rand: Von den 239 in Südafrika am besten verkauften Alben der letzten fünf Jahre, das ergab eine aktuelle Studie des Radiosenders YFM, waren zwei Drittel Kwaito-Platten.
Die Stars des Kwaito blicken finster von Plakatwänden und lächeln von Titelblättern, in Fernsehspots werben sie für Nike und die Aids-Aufklärung, sie dominieren die Klatschspalten und auch die alljährlichen Verleihungen der South African Music Awards (Sama). Längst übt man sich im selben Kunststück wie US-amerikanische Gangsta-Rapper: Einerseits muss der neue Reichtum zur Schau gestellt werden, schließlich werden hier auch Träume vom schnellen Aufstieg verkauft. Andererseits wird stets die Verbundenheit mit dem Ghetto bekräftigt, weil der Kontakt zur eigenen Klientel unverzichtbar ist.
Am überzeugendsten gelang dieser Spagat in den letzten Jahren Mduduzi Tshabala alias Mandoza und Bonginkosi Dlamini, der sich selbst Zola nennt nach dem Viertel, aus dem er stammt, einem der gefährlichsten in Soweto. Beide wuchsen vaterlos auf, Mandoza saß wegen Autodiebstahl im Gefängnis, Zola trägt eine gewaltige Narbe im Gesicht, seinen, wie er sagt, „TÜV-Stempel von Soweto“.
Über solch martialischem Auftreten drohen die Wurzeln des Kwaito mitunter in Vergessenheit zu geraten. Bei der letztjährigen Sama-Verleihung in Durban stellte Maskenmann Mzekezeke fast beschwörend klar: „Kwaito wurde geboren, als Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wurde.“ Seitdem hat sich einiges getan, und manches davon muss einem nicht gefallen. In Städten wie Pretoria oder Johannesburg verbarrikadieren sich die Weißen in ihren Vierteln hinter stählernen Zäunen und videogestützten Sicherheitssystemen. Währenddessen nimmt die Landflucht zu, wachsen die schwarzen Townships und in ihnen das Elend. Das neue Südafrika hat die politische Gleichberechtigung erreicht, aber das wirtschaftliche Ungleichgewicht ist mitunter größer als zuvor. So ist Kwaito der Soundtrack der schwarzen Selbstermächtigung und zugleich der der weißen Paranoia: In einem Kwaito-Club in Kapstadt, auch wenn er mitten in der weiß dominierten Innenstadt liegt, findet man gemeinhin kein hellhäutiges Gesicht. Den Crossover zum weißen Publikum hat bislang nur Mandoza mit einem einzigen Song geschafft, dem mit Rockgitarren aufgemöbelten „Nkalakatha“ im Jahr 2000.
Trotzdem hat Kwaito Refugien geschaffen, in denen Coloreds und Schwarze Karriere machen können in kreativen Tätigkeiten, und das nicht nur in der Musik-, sondern auch in der Modeindustrie und nicht zuletzt in den Medien und der Werbung. Hauptverantwortlich dafür ist ironischerweise der Rassismus einer ursprünglich blütenweißen Branche, die Anfang der Neunziger das kommerzielle Potenzial des Sounds von der Straße nicht erkennen wollte. Notgedrungen gründeten die Künstler und Produzenten in bester Independent- Tradition ihre eigenen Labels und verscherbelten die Tapes als fliegende Händler auf Wochenmärkten.
Aber nicht nur wirtschaftlich wurde Kwaito zur Blaupause für den Aufbruch der zuvor unterdrückten Mehrheit, auch musikalisch war er Ausdruck der neuen Freiheit und der neuen Möglichkeiten. Zu Zeiten der Apartheid waren die Fronten klar und mit ihnen die Grenzen der musikalischen Genres: Für die Buren gab es Country mit Texten in Afrikaans, für die unterdrückte Mehrheit Gospel, eine hochreligiöse Dauervertröstung auf ein besseres Dasein im Jenseits. Und die Musik des Widerstands, die während der Apartheid-Ära auch international Bekanntheit erlangte, die Musik von südafrikanischen Ikonen wie Hugh Masekela oder Miriam Makeba, war Klage über die Zustände und musste ausdrücklich und immer wieder auf die afrikanischen Wurzeln verweisen.
Kwaito dagegen war die Musik der Befreiung, einer neuen Lebensfreude. Kwaito verhieß diesseitiges Vergnügen und die blitzenden Goldzähne seiner Protagonisten den schnellen Reichtum. Vor allem aber wollte das Land das Ende der Unterdrückung feiern, und Kwaito goss das neue Lebensgefühl in einen flotten Dancegroove, zu dem alles möglich schien. Der Gesang, der sich weniger, stetig wiederholter Worte bediente, war kaum mehr als ein weiteres Instrument. Aber dass diese wenigen Worte gesungen wurden in Isicamtho, dem Slang, der in den Townships gesprochen wird und sich zusammensetzt aus Afrikaans, Englisch und traditionellen Sprachen wie Zulu, Sotho oder Xhosa, machte Kwaito endgültig zum Sound der Rainbow Nation.
Schnell wurden die Produktionen professioneller, verfeinert. HipHop oder Reggae, R & B und traditionelle afrikanische Musik, Pop und Jazz, elektronische Musik und Dancefloor, alles fand wie selbstverständlich seinen Eingang. Und auch die textliche Einöde war schnell zu Ende. Arthur, Kwaito-Star der ersten Generation, produzierte mit „Kaffir“ einen ersten großen Hit und die Signaturhymne des neuen schwarzen Selbstbewusstseins: Das titelgebende Schimpfwort wurde erstmals offen und offensiv verwendet. Dem allgegenwärtigen Sexismusvorwurf begegneten die Kwaito-Stars mit dem Hinweis, nur die südafrikanische Wirklichkeit widerzuspiegeln. „Meine Texte handeln nicht nur von Geld und Girls“, verkündete Zola, als er auf den Plan trat, „sondern von den Realitäten des Lebens.“ Er sollte nicht der Einzige bleiben.
Mitte der Neunziger begannen auch die bereits etablierten Plattenfirmen, das kommerzielle Potenzial von Kwaito zu entdecken. Die Indies handelten Vertriebsverträge mit den internationalen Majors aus, die parallel versuchten, ihre eigenen Stars aufzubauen. Außerdem gab die Regierung einige Radiofrequenzen frei und die neu entstandenen Sender, allen voran der 1997 auf Sendung gegangene YFM, setzten auf den rohen Sound aus den Townships. Zum Jahrtausendwechsel war Kwaito als zweite Kraft neben dem Gospel etabliert, andererseits aber kaum mehr stilistisch einzugrenzen.
Heute ist Kwaito eine moderne Industrie in einem immer noch recht altmodischen Korsett. Lance Stehr bringt als Betreiber von Ghetto Ruff, einem der größten Indies, die Rap-Pioniere Prophets of Da City und Zola auf den Markt, mag sich über seine Verkäufe nicht beschweren, aber beklagt doch die immer noch weitgehend fehlende Infrastruktur. Die Verkäufe sind aufgrund der fehlenden Kaufkraft in der Zielgruppe immer noch marginal: Trotz konservativ geschätzten 40 Millionen Südafrikanern gibt es Platin bereits ab 50.000 verkauften Einheiten. Südafrika ist immer noch ein Kassettenrecorder-Land, und ein Drittel des offiziellen Umsatzes wird mit Tapes gemacht. Zudem blüht der Schwarzmarkt, die illegalen Kopien kommen nicht nur über die Grenze aus Simbabwe. Noch heute kann man auf den Wochenmärkten aus dem Kofferraum Kwaito-Sampler mit handgeschriebenen und kopierten Covers kaufen – ebenso wie die aktuellen internationalen Pophits.
Umgekehrt funktioniert der Austausch noch bei weitem weniger gut. Einige wenige Ausnahmen wie Bongo Gaffin sind in Europa lieferbar und auch schon hierzulande aufgetreten, aber schon nach den Superstars Zola und Mandoza sucht man in Deutschland vergeblich. Dem schaffen nun zwei Compilations Abhilfe: „Kwaito – South African Urban Beats“ (Virgin/EMI) bietet einen guten Überblick über die Entwicklung von Kwaito mit Hilfe einer Sammlung, die einige der größten Gassenhauer aus den letzten zehn Jahren versammelt, darunter Arthurs „Kaffir“, Zolas ersten Hit „Ghetto Fabulous“ und gleich drei Stücke von Mandoza. Im Gegensatz dazu widmet sich „Mzansi Music – Young Urban South Africa“ (Trikont/Indigo) eher dem Jetztzustand und spiegelt die große Vielfalt wider, die der Erfolg von Kwaito erst möglich gemacht hat. Zola und Mandoza sind hier neben anderen Kwaito-Größen wie Mapaputsi und Brown Dash ebenfalls vertreten, aber den stark traditionell geprägten Grooves von Bongo Maffin, dem House des DJ-Duos Revolution oder dem HipHop von Skwatta Kamp wird auch Platz eingeräumt.
So ist auf „Mzansi Music“ allzu viel klassischer Kwaito gar nicht mehr zu hören. Die Musik, die die neue Demokratie begrüßte, verliert zunehmend ihre Bedeutung, nun, da die Demokratie immer selbstverständlicher wird. Irgendwann, und dieses irgendwann ist nicht mehr allzu weit entfernt, wird Kwaito nur mehr ein Stil unter vielen sein, eine Klangfarbe unter anderen in einer pluralistischen Gesellschaft. Aber bis dahin knistern die Boxen im Minitaxi unter der Last der schweren Beats und klopft der Fahrer den Rhythmus auf dem Lenkrad. Die Fahrt ist noch nicht zu Ende, die Zukunft nicht entschieden, aber eines ist mal sicher: Der Weg dahin wird wohl tanzend zurückgelegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen