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„Ich suchte etwas Fragiles“

Mit der Inszenierung von Strindbergs „Traumspiel“ musste der Regisseur Barrie Kosky aus technischen Gründen aus dem Deutschen Theater umziehen ins Berghain. Ein Gespräch über die Berliner Theaterszene, Nihilismus und barocke Madrigale

Zuletzt begeisterte er mit „Kiss me Kate“, einem kessen und glitzernden Musical von Cole Porter, sein Publikum an der Komischen Oper Berlin: Barrie Kosky, der ab 2012 Intendant an der Komischen Oper werden wird, hat in Wien und in seiner australischen Heimat sowohl Theater als auch Opern inszeniert. Mit seinem Witz, seiner Lässigkeit und manchmal schrillen Ideen gilt der 1967 in Melbourne geborene Regisseur als ein unterhaltsamer und intelligenter Opernentstauber. Heute Abend hat seine Inszenierung des „Traumspiels“ von August Strindberg Premiere im Berghain, einem Ausweichquartier für das asbestverseuchte Deutsche Theater. Für das Deutsche Theater arbeitet Kosky zum ersten Mal, auf allen Proben stets begleitet von seinem Cockerspaniel Blumfeld, der deshalb auf unserem Foto nicht fehlen darf. FOTO: IKO FREESE

INTERVIEW KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Herr Kosky, Sie wollten am Deutschen Theater Strindbergs „Traumspiel“ inszenieren, als das Haus während einer Sanierung von Asbestfunden erfuhr und länger geschlossen bleiben musste. Da kam der Vorschlag, mit dem Stück in den Technoclub Berghain zu ziehen. Können Sie sich erinnern, wie Sie den Club kennen gelernt haben?

Barrie Kosky: Vor ein paar Jahren war ich ein paarmal hier, aber ich bin kein großer Technoclub-Besucher. So um drei Uhr am Morgen, da sieht man nicht so genau. Ich war sehr überrascht, als das Berghain als Spielort für Strindbergs „Traumspiel“ ins Spiel kam.

Der Raum, in dem Sie spielen, ist sonst eine Bar.

Wir haben über die Bar eine Bühne gebaut. Das Besondere sind die fantastischen Betonsäulen. Es ist ein sehr monumentaler Raum: Manchmal denkst du, wie eine Katakombe, manchmal wie eine Kathedrale. Manchmal denkst du aber auch, es ist eine Werkstatt oder eine Fabrik, manchmal fragst du dich, was ist das überhaupt. Und das ist sehr gut für ein Stück wie „Traumspiel“. Viel besser als ein Bühnenbild in einem Theater.

Der Ort ist berühmt für die Architektur, die Dunkelheit, erotische Abenteuer. Nutzen Sie diesen Mythos?

Viele Menschen kaufen ja Karten für das Theater, die nie hier gewesen sind. Ich glaube zwar an die Fähigkeit von Räumen, eine Persönlichkeit durch ihre Geschichte anzunehmen. Aber es gibt keine dramaturgische Verbindung zwischen dem, was auf der Bühne und später am Abend im Club passiert.

Wie sind Sie auf Strindbergs „Traumspiel“ gekommen, ein sehr allegorisches Stück?

Ich bin kein Strindberg-Freak. In Australien habe ich eher langweilige Inszenierungen gesehen und Strindberg natürlich im Studium gelesen. Nur die „Gespenstersonate“ und das „Traumspiel“ interessierten mich. Wie man es macht, ist beim „Traumspiel“ eine besonders große Frage. Wenn man bedenkt, dass es 1902 geschrieben wurde, bevor es das Kino gab und kurz bevor Freud seine „Traumdeutung“ veröffentlichte, dann scheint es mit seinen cinematografischen und traumhaften Zügen ein kühner Vorgriff. Mich begeistert, wie radikal Strindberg Theaterkonventionen negiert hat: Es gibt eine Katharsis in dem Stück, es ist eine Mischung zwischen alltäglichen, manchmal auch banalen Szenen und religiösen und spirituellen Ebenen, es ist komplett ohne Antworten. Die Kombination aus Träumen und Erinnerungen ist seltsam und manchmal auch komisch. Man kann nicht den ganzen Text machen, bestimmt die Hälfte haben wir gestrichen.

Eine Tochter Gottes kommt auf die Erde und begegnet drei Männern. Ist es nicht schwer zu inszenieren, weil es so wenig Handlung gibt?

Es ist ein Stück über Kleinigkeiten, keine Atombombe von Gefühlen. Deshalb kommt bei mir die Musik dazu. Für mich hat das Stück viel mit der Einsamkeit und Sehnsucht des Menschen zu tun. Es gibt sehr viele Stellen, da wird nach dem Hören gefragt. „Hast du das gehört?“ „Kannst du das hören?“ „Ich habe deine Stimme gehört.“ Deshalb ist es für mich ein Stück über Stimme, Musik, Harmonie, Disharmonie.

Sie arbeiten mit Barockmusik. Passt die zum Pessimismus von Strindberg?

Oh, es gibt sehr viel traurige, tiefmelancholische Barockmusik. Aber klar, erst mal sieht man Strindberg und Barock nicht zusammen, man denkt eher an Sibelius, Grieg oder Mahler. Doch das ist mir viel zu nah am Text und ich habe keine Interesse, aus Strindberg einen skandinavischen Abend zu machen. Ich suchte etwas sehr Fragiles, das von Melodie und Stimme geführt wird. In den Madrigalen von John Dowland oder Gesualdo kommt alles von der Stimme. Das 16. und 17. Jahrhundert spielt mit Harmonien und Disharmonien. Dowlands Musik ist unglaublich traurig und melancholisch. In einem Gesualdo-Madrigal ist die Musik manchmal so schön und süß; aber wenn man den Text liest, singen sie über Schmerz und den Tod. Die Musik befreit das Stück von einem großen Selbstmitleid und einer großen Schwere.

Strindberg hat lange als Theaterautor um Anerkennung gekämpft. Aber als sein „Traumspiel“ herauskam, war der Erfolg da, er wurde in ganz Europa gespielt und hatte ein eigenes Theater in Stockholm. Warum wird er heute so selten gespielt?

Für zeitgenössische Zuschauer ist Ibsen einfach der stärkere geblieben. Strindberg hat einen schlechten Ruf wegen seiner Frauenfeindlichkeit und weil die Stücke kompliziert sind. Ibsen ist viel einfacher. Wenn man Strindberg liest oder auf der Bühne sieht: sein tiefpessimistischer Blick auf die Welt, schwarz, zynisch, fast nihilistisch, das ist nicht so sexy.

Wie gehen Sie mit der Frauenfeindlichkeit des Autors um?

Glücklicherweise spielt der Geschlechterkampf im „Traumspiel“ nicht so eine große Rolle wie in seinen anderen Stücken. Strindbergs Problem mit Frauen war Strindbergs Problem mit sich selber. Aber hier ist das glücklicherweise nicht Thema.

Sie haben viel in Wien gearbeitet, dort vier Jahre das Schauspielhaus mit geleitet, und werden nun ab 2012 Intendant der Komischen Oper. Gibt es große Unterschiede zwischen den Städten im Publikum?

Absolut, wie Schwarz und Weiß, nicht nur im Publikum. Die Theaterlandschaft in Wien ist grauenhaft, nicht nur konservativ, oft auch schlecht gemacht. Ich habe kein Problem, wenn etwas ein wenig altmodisch oder konservativ ist, aber es muss gut gemacht sein. Die Theaterszene in Wien ist fast tot. In Berlin hat man viel mehr Möglichkeiten, eine andere Breite unterschiedlicher Stile, das Publikum ist von größerer Neugier. Auch hier gibt es Probleme, aber wenn man die mit dem Rest der Welt vergleicht, gibt es immer noch sehr viel Geld, noch sehr viel Auswahl für Künstler, wo sie arbeiten wollen, und für das Publikum, wo sie abends hingehen.

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