: Der Zauber endet im Einfamilienhaus
„Alcina“ von Georg Friedrich Händel in der Komischen Oper: Der Regisseur David Alden hat ein Theaterstück über Sex und Liebe inszeniert, der Dirigent Paul McCreesh spielt leider nur den alten Händel, den man zu kennen glaubt
Nein, diese Komische Oper darf nicht geschlossen werden. Unter dem immer noch kommissarischen Chef Andreas Homoki beginnt sich nach der Ära Kupfer erneut eine eigene Handschrift abzuzeichnen. Homoki versteht es, Regisseure ins Haus zu holen, deren Aufführungen überaus sehenswert sind. Es gab Ligetis unmöglichen „Grand Macabre“ kongenial als erbärmlich billige, scheppernde Schaubude, Kalmans „Csardasfürstin“ unter Homokis eigener Regie als unterkühlte Konstruktion notwendig illusorischer Gefühle gegen eine noch trostlosere Wirklichkeit, und nun „Alcina“ von Georg Friedrich Händel. Es ist schon ein kleines Wunder, was der Amerikaner David Alden in diesem, von Händel eigentlich nur als Notlösung akzeptierten Libretto eines gewissen Antonio Fanzaglia entdeckt hat.
Eine als Mann verkleidete, verlassene Braut und ein listiger Alter kommen auf die Insel der Zauberin Alcina, um den entflohenen Bräutigam aus deren Armen zu befreien. Daraus entwickelt Alden in den über drei Stunden der Aufführung eine bestürzend moderne, psychologische Studie über das Verhältnis von Liebe und Sex. Nichts ist da mehr so abstrus, wie es scheint.
Die Nebenfiguren und endlosen Verwicklungen der Handlung sind plötzlich keine Störungen mehr, sondern erweisen sich als notwendig, um die Facetten des Konflikts darzustellen. Wieder vereint und zum Glück entschlossen endet das Paar in einer Einfamilienhaussiedlung, die aber auf der Sexinsel selbst errichtet werden muss, weil von dort niemand wieder wegkommen kann. Optisch sind die blau und gelb angemalten Bauhaus-Häuschen der größtmögliche Gegensatz zur barocken Lust an organischen Kurven und geben eben dadurch dieser Oper den Raum, den sie braucht, um ihr inneres Drama zu entfalten. Das stammt aus einer Zeit des Zweifels und der Verzweiflung am hohlen Schein der Welt. Keine Religion mehr und noch kein Glaube an die Vernunft konnte diese Stimmung überwinden. Auch jetzt wieder zerbricht alles. Auf der Insel der Lust hängen ohnehin schon die Tapeten in Fetzen, die Götter schweigen, so singt die tragische Alcina, der Zauber versagt, die Liebe ist eine Lüge in jeder Form, und wenn die Kulissen weggeschoben sind, bleibt nur die nackte, schmutzige Rückmauer der Bühne übrig.
So einfach und überzeugend gelingt Alden, was sonst fast nie gelingt: Ein Stück Musikgeschichte wird Gegenwart. Es gelingt ihm, weil er auf jede aktuellen Anspielung verzichtet und erst recht auf die Dekonstruktion. Im Gegenteil: Er nimmt diese Oper in in voller Länge bei Wort, deswegen beginnt sie zu sprechen.
Sie sollte freilich auch gesungen werden. Die nur kurzfristig als Ersatz eingesprungene Geraldine McGreevy in der Titelrolle zeigt, was das heißen könnte. Die zwei großen Arien, die Händel seiner verstörten Heldin schrieb, geraten ihr zu kammermusikalischen Kunstwerken. Dass nur sie dazu imstande ist, lässt schmerzhaft spüren, wie viel sonst fehlt. Viel schwerer noch wiegt die bloße Routine, mit der das Ensemble meistens und das Orchester unter Paul McCreesh immer glaubt, seine Pflicht getan zu haben. Das klingt manchmal nett, so wie man seinen Händel eben zu kennen meint, und damit so falsch wie nur möglich. Gerade diese auf ständig wiederholten, semantischen Floskeln aufgebaute, einfach geschriebene, aber schwierig zu verstehende Musik verlangt äußerste Konzentration. In der Komischen Oper aber ist davon nichts zu hören. Stattdessen wird alles gleich schnell und laut heruntergespielt, wie das eigentlich auch ein ordentliches Laienorchester könnte. NIKOLAUS HABLÜTZEL
Georg Friedrich Händel: „Alcina“. Komische Oper, Behrenstr. 55–57Nächste Aufführungen: 12., 17., 20., 23., 30. März
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