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Lesen lernen in Saddam City

Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck hat eine neue Hilfsorganisation in Leben gerufen: Der Verein „Grünhelme“ will sich für Wiederaufbau in Krisengebieten und interreligiösen Dialog engagieren. Erstes Projekt ist der Bau einer Schule in Bagdad

von YASSIN MUSHARBASH

Schon Ende der Woche soll es losgehen. Dann wird Josef Grundner, Grünhelme-Mitbegründer und Schatzmeister, mit einem Bauplan und einer ersten Gruppe Freiwilliger nach Bagdad aufbrechen. Am Rande des Stadtteils Saddam City will die Hilfsorganisation eine Schule für 2.320 Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren bauen. Das ist das erste Vorhaben des Vereins „Grünhelme“, der neuesten Idee von Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck. Bereits zwei Monate nach seiner Gründung startet der Verein damit ein Wiederaufbauprojekt in der islamischen Welt, eine ganze Reihe weiterer sollen folgen.

Mit den amerikanischen Besatzungsbehörden ist der Schulbau abgesprochen, und auch die Finanzierung – geschätzte 90.000 Euro sind nötig – ist durch Spenden bereits gesichert. Die treibende Kraft hinter den Grünhelmen ist Rupert Neudeck, der 1979 bereits die Hilfsorganisation „Cap Anamur“ in Leben rief. Über 11.000 vietnamesische Kriegsflüchtlinge retteten Cap-Anamur-Mitarbeiter bis 1986 aus dem südchinesischen Meer.

Flache Hierarchien und zupackender Pragmatismus waren schon damals die Prinzipien: „Die Grünhelme sollen diese alte Radikalität wiederbeleben“, sagt Neudeck. In diesem Fall heißt das: Junge Freiwillige, vorzugsweise mit einer technischen oder handwerklichen Ausbildung, sollen in kleinen Teams jeweils für ein Vierteljahr an den Projekten mitarbeiten. „Die Idee ist, drei Monate seiner Lebenszeit dafür zu geben, anderen zu helfen“, so Neudeck weiter.

Obwohl die Grünhelme für ihr Engagement nur ein Taschengeld erhalten werden, sind bereits über 400 Bewerbungen eingegangen. Neudeck und seine Mitstreiter haben unter den ersten Bewerbern bereits eine Vorauswahl getroffen. Diese sollen dann beim Wiederaufbau in Bosnien, Tschetschenien, Afghanistan oder der Osttürkei zum Einsatz kommen.

Zugleich aber möchten die Grünhelme mehr als eine reine Hilfsorganisation sein: „Wir wollen auch einen praktischen interreligiösen Dialog ermöglichen und akademischen Seminaren Taten gegenüberstellen“, sagt Neudeck, selbst promovierter Theologe. Es ist daher kein Zufall, dass zu den Initiatoren auch Aiman Mazyek zählt, Pressesprecher des Zentralrats der Muslime (ZMD). „Christen, Muslime und andere Menschen guten Willens bauen gemeinsam auf, was andere widerrechtlich zerschlagen haben“, heißt es in der Gründungserklärung des Vereins. Die Interreligiosität spiegelt sich auch im Vereinskuratorium wider, dem etwa Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Prinz Hassan von Jordanien, der afghanische Wiederaufbauminister Amin Farhang oder der stellvertretende ZMD-Vorsitzende Ahmed Hobohm angehören.

„Wir sind aber kein Tendenzbetrieb“, sagt Neudeck. Der Schwerpunkt auf den islamischen Ländern und die Kooperation mit Muslimen ergäben sich vor allem daraus, dass der Konflikt zwischen islamischer Welt und dem Westen der bestimmende sei. Die Idee lehne sich an den Vorschlag des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy an, so genannte Peace-Corps zu errichten. Für den Namen Grünhelme habe man sich entschieden, weil er zum einen an die Blauhelme der UN erinnere und zum anderen die Farbe Grün im Westen wie in der islamischen Welt positiv besetzt sei. Langfristig, glaubt Neudeck, könnten die Grünhelme genau so bekannt und bedeutend werden wie einst Cap Anamur.

Für den Schulbau am Rande von Saddam City ist bislang noch Neudeck selbst der größte Spender: Er erhält in diesem Jahr den Preis der Unesco-Stiftung für Bildung und Kinder in Not – das Preisgeld hat er den Grünhelmen zur Verfügung gestellt.

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