wir lassen lesen: Fußballfans geben Auskunft über sich selbst
Immerda und Stadionwurst
Fan, begeisterter Anhänger (Film~, Jazz~, Sport~) [engl., verkürzt aus fanatic „begeisterter Liebhaber“]
Ob begeisterte Anhänger tatsächlich auch begeisterte Liebhaber sind, sei einmal dahingestellt. Fest steht, dass in diesem Lexikoneintrag das entscheidende Ressort für Fantum nicht explizit aufgeführt ist: nämlich Fußball. Und noch fester steht, dass wahre Fußballfans einen ganz und gar außerordentlichen Menschenschlag bilden. Den man lieb haben oder manchmal auf den Mond schießen kann. Der Verabredungen absagt, weil er unbedingt ins Stadion muss. Der lautstark gegnerische Spieler beschimpft, aber selbst keinen Spaß versteht, wenn man sagt: „Ah ja, du hast ja erst zwei Mainz-05-Schals, da war es wirklich notwendig, dass du dir auch noch den in der hübschen Fastnachts-Edition zulegst.“ Bevor jedoch die Menschen, die mit Fans befreundet sind, ein Buch über ihre kuriosen Erfahrungen schreiben, kommen ihnen die Besagten zuvor. In einem Band, der natürlich heißen muss: „Verrückt nach Fußball“.
„Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte.“ Nick Hornby ist zwar keiner der 32 Stehplatz-Autoren, aber wenigstens zitiert, von einem Borussia-Dortmund-Fan, der seine persönliche Vereinsgeschichte rekapituliert. „Fußball ist das Spiel, Borussia seine Seele“, beendet er seine Ausführungen. Und die Befürchtung, dass seelenlose Nicht-Fans mit den Texten nur wenig anfangen können, nimmt kurzfristig Gestalt an. Nämlich die Gestalt von verrückten, perrückten, beschalten und grölenden Fußballanhängern, die auf den Fanpages im Internet ihrer Begeisterung Luft machen und deren Herzblutergüsse jetzt eben mal gedruckt werden. Doch – wie so oft im Sport – kommt es ganz anders. Denn abgesehen von einigen Fällen langweiliger Bekenntnisprosa à la „Ich erzähle euch, wie dieses Tor mein Leben verändert hat“, oder vernachlässigbarer Fahrten-zu-Spielen-Beschreibungen („Auf dem Bremer Bahnhof heißt es dann Umsteigen …“), sind die Texte erfrischende Dokumente aus der Fankultur. Und da ja immer gern über Fans geschrieben und gelästert wird, ist es in der Tat an der Zeit, dass Anhänger der Kicker-Religion mal selbst zu Wort kommen. Dem Leser den Unterschied zwischen Immerdas, Erfolgsfans und Stadionwürsten deutlich machen. Überzeugend darstellen, dass man auch Fan des SC Preußen Münster sein kann. Und berichten, wie es sich anfühlt, wenn man mit dem Fahrrad von Berlin nach Korea zur Fußball-Weltmeisterschaft fährt.
Aber nicht nur die Bekanntmachung eigener Erlebnisse und Erfahrungen in irgendwelchen Stadionkurven, nicht nur die „Nachmittag eines Fans“-Textsorte findet statt, sondern auch Medien- und DFB-Kritik. Jens Volke etwa beschreibt, wie katastrophal erfolglos der Versuch des Verbandes, deutsche Fans zur WM nach Korea zu fliegen, verlaufen ist. Angesichts lediglich 700 deutscher Anhänger im Halbfinale sowie bezahlter Fans zur Stimmungsmache fragt sich der Autor: „Warum lädt der DFB Herrn Stoiber ein und veralbert reisewillige Fans?“
So haben die knapp 180 abwechslungsreichen Seiten – Christoph Metzelder und Uwe Seeler vorworten – nicht mehr viel zu tun mit einer „Eisern Union“ oder „Schiri raus!“ brüllenden Masse. Fans sind auch nur Menschen, mal verzweifelt, mal euphorisch, mal erfinderisch – wer das vorher noch nicht gewusst habe sollte, erfährt es spätestens hier. Und manchmal sind Fans sogar Frauen – in diesem Buch allerdings kommt bloß eine zu Wort und darf ihre Leidenschaft für Eintracht Frankfurt schildern.
Im Anhang gibt es noch ein bisschen Service für alle Stadion-Süchtigen: Adressen von Fanprojekten und Fanzines sowie Literaturhinweise komplettieren diese Fanthologie. Und für alle direkt oder sonst wie Betroffenen: Der Fußballanhänger wird sich freuen über dieses Buch. Zum Beispiel als Geburtstags- oder Nur-so-Geschenk. Möglicherweise sogar mehr als über den vierten Vereinsschal.
JUTTA HEESS
„Verrückt nach Fußball. Die besten Geschichten der Stehplatz-Autoren“. Verlag Die Werkstatt, 2003, 9,90 €
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