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Über alle Grenzen

Zwei Jahre lang hat die Performance- und Theatergruppe „Hajusom“ am ersten Musical gearbeitet. Die Musik dazu schrieb der finnische Multiinstrumentalist Jimi Tenor. Heute hat „Back Up Story“ auf Kampnagel Premiere

Fast zwei Jahre ist es her, dass Claude Jansen im Proberaum stand und die ersten Sequenzen eines außergewöhnlichen Bewerbungsschreibens anschaute. Das Video, welches wenige Tage später auf den Weg nach Finnland geschickt wurde, war die gespielte, getanzte und gesungene Bitte an Jimi Tenor, die Musik für das erste Musical von „Hajusom“ zu schreiben. „Hajusom“ ist Hamburgs einzigartige Kunst- und Performance-Gruppe, die vor zehn Jahren aus einem Theaterworkshop mit jungen unbegleiteten Flüchtlingen entstand; Jimi Tenor hingegen ist ein musikalischer Querkopf aus Finnland, der Genres aller Kontinente fusioniert und mit seinem innovativem Sound nicht nur bei Kritikern ein breites Grinsen hervorruft.

Eine Kombination, die passt, denn die ungewöhnliche Zusammenarbeit per Video und E-Mail zwischen Lahti und Hamburg hat blendend funktioniert. „Wir haben ihm immer wieder etwas vor die Füße geworfen und er hat Stücke geliefert, die perfekt passten“, erzählt Claude Jansen, erklärter Tenor-Fan, mit leuchtenden Augen. Der Sound kam aber nicht nur bei den drei Frauen von der künstlerischen Leitung bei „Hajusom“ an, sondern auch bei der Gruppe. „Sie passt zu uns und zum Stück. Ich konnte meine eigenen Text und meinen eigenen Song mitentwickeln“, erzählt Jean Naomi Zulu, mit ihren 13 Jahren die Jüngste der Gruppe und seit fünf Jahren dabei. Sie spielt die Sängerin Chayenne in der „Back Up Story“.

Die lehnt sich an die berühmte „West Side Story“, das perfekte Migrations-Musical, an, dreht deren Geschichte aber vom Kopf auf die Füße. Die Darsteller, einst mit dem Musical zu Stars geworden, landen nach hinterhältigen Intrigen ihres schmierigen Produzenten im Gefängnis statt auf der großen Bühne. Dort, hinter den Gitterstäben, philosophieren sie über die Rolle der Kunst zwischen Kommerz und gesellschaftlicher Veränderung. Bis Chayenne schließlich ihre magische Kraft entdeckt. „Alles was ich sage, wird wahr und dank meiner magischen Kräfte können wir aus dem Gefängnis fliehen.“

Das Ensemble gelangt so in eine unbekannte Dimension, in der sich ganz neue Perspektiven auftun. Ganz schön abstrakt findet Ama Hellhammer, die tanzende und singende Liebesfee aus dem Regenbogenland, das Stück. Aber „so ist die Kunst eben“, sagt sie lachend und probt die nächsten Tanzschritte mit der Choreographin Angela Guerreiro. Die ist für die Choreographie eines der insgesamt drei Akte zuständig. Ihre Handschrift unterscheidet sich dabei wiederum deutlich von der der Kollegen Johnny Lloyd und Friederike Lampert. Das gibt der „Back Up Story“ zusätzliches Kolorit, denn schließlich soll das erste „Hajusom“-Musical gleich ein großer Wurf werden.

Dazu hat der finnische Avantgardist seinen Teil beigesteuert und zugleich neue Freunde in Hamburg gewonnen, mit denen er heute gemeinsam auf der Bühne steht. Vorhang auf zur „Back Up Story“. KNUT HENKEL

Premiere: Sa, 6. 12., weitere Termine: So, 7. 12., Mi, 10. 12., Fr, 12. 12., Sa, 13. 12. und So, 14. 12., je 20 Uhr, Kampnagel (K6), Jarrestraße 20

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