: Sie tanzte, und dann war ich
Descartes Denkfixierung ist out. Statt des verkopften „Cogito ergo“ gilt in Bremen: Hier ist es schön, hier kommt das Kind. Oder: Geburt ist Bewegung! Über das befruchtende Verhältnis zwischen Ästhetik und Gebären
Geburt als „Kulturleistung“ zu bezeichnen, hieße, einen schwarzen Schimmel reiten zu wollen. Will das Jemand? Nein. Aber schön soll es schon sein – dort, wo man sich vermehrt. Zum Glück ist in Bremen ein anhaltender Trend zur natalen Ästhetisierung zu beobachten.
Selbst die Krankenhäuser werden freundlicher. Mit pastell-getünchten Wänden und angenehmer Atmo versuchen Kliniken wie das St. Joseph-Stift oder das Gröpelinger Diako, gebärfreudige Paare zur Niederkunft zu sich zu locken. Und seit vergangenem Sommer hat mit dem Findorffer Geburtshaus eine Institution aufgemacht, bei der die künstlerische Gestaltung der Räume geradezu ins Auge sticht.
Hier hat sich Gerhard Möring ausgetobt. Putten und lustwandelnde Nymphen zieren Wände und Innenhof, Fresko-Andeutungen buhlen mit allerlei Illusionsmalereien um die Aufmerksamkeit der werdenden Eltern. Der eklektizistische Stil des Bremer Malers ist, in noch ausgereifterer Pracht, im gegenüberliegenden Wohnhaus Mörings zu bewundern. Dort hat er sich ein kleines Traumreich geschaffen, in dem sich byzantinische Pracht mit Pettigrohrluxus vereint. Mit den Worten des Hausherrn: „Pompejanisch“.
Während sich in Findorff die elementare Wucht der Geburt also in einem geradezu überästhetisierten Rahmen Bahn bricht, neigt die seit neun Monaten bestehende Geburtspraxis „Dreiklang“ zu schlichterer Eleganz. Der Ein-Hebammen-Betrieb von Kristin Adamaszek ist in den Räumen der früheren Perückenfabrik Behrmann untergebracht, die wiederum Teil der Kulenkampff’schen Villa war. Wo früher das Kunsthaar gefärbt wurde, bestimmen heute ein großer Holzboden samt Oberlichtgiebel die Atmosphäre.
Das Besondere: Ästhetisches prägt nicht nur den Rahmen, sondern kann zum geburtsauslösenden Moment an sich werden – via Tanz. Der gehört für Adamaszek zum Geburtszyklus dazu: Nicht nur im Rahmen der Rückbildungsgymnastik, auch während der Schwangerschaft und dann bei der Eröffnungsphase. Adamaszek: „Es gibt viele Gründe, beim Gebären einfach loszutanzen.“ Einer davon ist die aufrechte Haltung, die für das Gebären meist viel angemessener sei als zu Liegen. Ein anderer: Die Unterstützung der Bewegungen des Babys. Dessen Spiralbewegung durch das Becken hindurch werde durch das Tanzen der Mutter Raum gegeben. Das Kind soll später so etwas sagen können, wie: Salto ergo sum. HB
Die „Neun Monate Geburtshaus-Party“ findet heute ab 18.30 Uhr in der Parkstraße 116 a statt – inklusive der „Mutter-Vater-Kind-Disco“ (auch am 4.7., 29.8., 17.10. und 28.11.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen