: Zelluloide Zumutung
Nach seiner Körperstudie „Intimacy“ widmet sich der Regisseur Patrice Chéreau diesmal dem Sterben: „Sein Bruder“ (20.40 Uhr, Arte)
von CHRISTIAN BUSS
Kann man sich ans Sterben gewöhnen? Regisseur Patrice Chéreau zeichnet in seinem neuen Film den Verfall eines Mittdreißigers nach, der an einer seltenen Blutkrankheit leidet – doch der Zuschauer erhält keine Chance sich mit dem Gezeigten zu arrangieren. Denn der sich ankündigende Tod hält kaum ein Versprechen parat; das Ableben in Raten generiert keinen emotionalen Mehrwert. „Sein Bruder“ ist eine Zumutung. Auf der letzten Berlinale wurde Chéreau für diese Zumutung mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, und noch vor dem Kinostart ist sein von Arte koproduzierter Film jetzt im TV zu sehen. Auf einen feierlichen Fernsehabend sollte man sich nicht freuen.
Die Sterbe-Studie funktioniert ähnlich wie Chéreaus vorheriges Werk „Intimacy“, in dem er die Mechanik der Lust unter die Lupe genommen hat. Der nüchterne Blick des Pathologen, mit denen der französische Regisseur in der knisterfreien Körperschau die Physiognomien seiner Akteure erkundete, wird in „Sein Bruder“ noch einmal geschärft: Fast dokumentarisch filmt er etwa minutenlang die quälende Prozedur des Rasierens, die der Kranke vor einer Operation mit mäßigen Erfolgsaussichten über sich ergehen lassen muss. Aber es geht nicht allein darum, den Prozess des Sterbens eins zu eins abzubilden, sondern es gilt, den psychosozialen Veränderungen nachzuspüren, die dieser mit sich bringt.
Der Film nach dem Roman Philippe Bressons ist auch die Geschichte zweier ungleicher Brüder, die in der Agonie ihr Verhältnis neu definieren.
Der todkranke Thomas (Bruno Todeschini) wendet sich in seiner Verzweiflung an Luc (Eric Caravaca), obwohl die beiden sich über Jahre nichts zu sagen hatten. Thomas war immer auf sich selbst fixiert, seinen homosexuellen Bruder hat er nicht einmal zu verstehen versucht. Jetzt macht er Luc zu seinem Sterbebegleiter. Die Intimität zwischen den beiden könnte nicht größer sein – Vertraulichkeit sucht man trotzdem vergeblich. Gegen Ende sagt Thomas zu seinem Bruder: „Ich liebe dich.“ Es könnte sein, dass er das nur sagt, weil er das in der Situation für angemessen hält.
Worten misstraut Regisseur Chéreau sowieso. Und das aus gutem Grund. Denn der Sterbende redet immer nur von sich selbst – als ob die Selbstauflösung, die er gerade am eigenen Leib erfährt, durchs Reden aufgehalten werden könnte. Die Egomanie und Egozentrik, die der Todgeweihte zwangsläufig entwickelt, wird mit bitterer Komik in Szene gesetzt, etwa wenn er mit aufgesetzt wirkender Melancholie über die Grabstätte nachdenkt, die man ihm doch bitte nach seinem Ableben bereiten möge. Ein Ort zum Sammeln soll das sein, wo die Familie seiner gedenken kann. Und während sein Blick übers Meer schweift, sagt er zu seinem Bruder: „Ich zähl auf dich!“
Chéreau, der seinen Hauptakteur Todeschini unter ärztlicher Aufsicht extrem abnehmen ließ, ist in seiner schonunglosen Darstellung einmalig – zugleich fügt sich sein Film in eine Reihe neuerer Kinoarbeiten, in denen der Tod nicht länger als Agent der Sinnstiftung funktioniert. Todd Fields nachtstiller Nachruf „In The Bedroom“ oder Todd Louisos ins Psychedelische gewendete Requiem „Love Liza“ stehen in nächster Verwandtschaft zu „Sein Bruder“.
Trost bekommt der Zuschauer nicht zugesprochen, statt dessen muss er sich mit dem Tod als extremste Erfahrung des Sinnverlusts auseinandersetzen. Und wenn der Sterbende bei Chéreau am Ende im Morgengrauen ins Meer steigt und daraus nicht wieder auftaucht, besitzt diese in kühlem Blau gefilmte Impression so gar nichts von einem Erlösungsszenario.
Das Bild illustriert schlichtweg die einzige verbleibende Möglichkeit einen Zustand zu beenden, an den man sich nicht gewöhnen kann.
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