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Hauptstadtgefühl in Watte

Die Stimme aus der Cabinet-Werbung: Mit gerade 27 Jahren kann Anett Ecklebe bereits auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Als Sängerin namens Toni Kater füllt sie mit plüschigem Pop nun eine Leerstelle im gern apostrophierten Sound of Berlin

Der kleine Sprachfehler ist das Symptom einer sympathischen Antiperfektionshaltung

VON THOMAS WINKLER

Immer wieder schwappt sie aus dem Radio, diese Melodie. Sie umfängt einen, packt einen wie in Watte und verspricht einem etwas. Verspricht, dass Sehnsüchte erfüllt werden, dass Wohlfühlen so einfach ist, verspricht alles. Man fühlt sich schnell aufgehoben in „Wo bist du“, der ersten Single von Toni Kater. Vor allem dann, wenn man im Musikfernsehen auch noch den dazugehörigen Videoclip gesehen hat. In dem ist Berlin nett und freundlich, ist Heimat und Hauptstadtgefühl zugleich, ist voll junger Menschen und Spaß. Auch ein bisschen abgeranzt, aber ganz sympathisch. Kurz, Berlin ist ungefähr ziemlich genau so wie in der Radio-Zigarettenwerbung, mit der 2raumwohnung einst berühmt wurden.

Im „Intimes“, dem Café zum Kino in Friedrichshain, sitzt Anett Ecklebe alias Toni Kater und muss gestehen, dass sie die Stimme im bislang letzten Werbespot von Cabinet war. Ihre Single und ihr (für Anfang Juni angekündigtes) Album werden außerdem von Inga Humpe und Tommi Eckart produziert, die als 2raumwohnung einen gewissen Erfolg vorzuweisen haben. Also sagt Toni Kater über ihren Milchkaffee hinweg: „Diese ganze Berlin-Inszenierung finde ich völlig künstlich. Aber ich bin halt auch mittendrin.“

Kurz zuvor hat sie erzählt, dass sie gegenüber dem „Intimes“ wohnt, dass ihr Videoclip am Frühstückstisch entworfen wurde, die Mitbewohnerin halt Besitzerin einer Kamera ist, man eben mal auf die Boxhagener Straße runterging, den Kater Mikosch mitnahm, ihm die Hauptrolle im Videoclip zusprach und dass das Ding dann ganz schnell im Kasten war. „Das hat sich so ergeben“, sagt Ecklebe, „es musste ja auch alles billig sein.“

Bei den S- Lauten stößt ihre Zunge dabei ein klein wenig an die Zähne. Lispeln möchte man das noch nicht nennen, beim Singen ist es gar nicht mehr zu hören. Der kleine Sprachfehler aber ist Symptom einer sympathischen Antiperfektion, die ihrem mitunter arg weich gespülten Pop eine verdiente Menschlichkeit zukommen lässt. Es ist dasselbe Prinzip, nach dem die spießigen, angegammelten Vormietertapeten in Altbauwohnungen die exquisite Designer-Einrichtung relativieren. Nennen wir es das Cabinet-Prinzip.

Humpe und Eckart nahmen Anett Ecklebe und eine Freundin vor sechs Jahren unter ihre Fittiche, überließen ihnen ein leer stehendes Studio und kauften sie aus einem Vertrag mit einer großen Plattenfirma frei. Da hatte Ecklebe bereits ein bewegtes Leben hinter sich: Mit 16 Jahren entfloh sie der Enge des Ostharzes zusammen mit besagter Freundin gen Ibiza. Zurück in Deutschland, arbeiteten sie, immer noch minderjährig, beim MDR als Putzfrauen, bevor sie in einer Talentshow entdeckt wurden: Von ihren Eltern, die sie bis dahin international hatten suchen lassen, aber auch vom A&R-Mann eines Unterhaltungskonzerns, bei dem sie mit 18 Jahren den ersten Plattenvertrag unterschrieben. Es folgten „ein paar ganz schlimme Singles“, ein zweites Engagement bei einer anderen Firma und dort dieselben Versuche, die beiden Gesichter in ein vermarktbares Image zu pressen: „Das ging dann immer so: Wir bringen euch ganz groß raus, aber eure Songs wollen wir erst mal nicht. Wir haben hier noch ein Lied, singt das doch mal. So lief das.“

Ihre Biografie führte aus dem Ostharz über Ibiza bis hin zur Entdeckung in einer TV-Talentshow

Mittlerweile ist Ecklebe 27 Jahre alt, und die klischeereichen Erfahrungen mit der Industrie haben keine bleibenden Schäden hinterlassen. Auch wenn sie als großes Idol eine Songwriterin wie Catpower angibt, zeugen ihre Songs doch vor allem von einem starken Willen zum Pop. Den verdankt sie wohl auch ihren Produzenten: Humpe und Eckart haben ihr ein luftiges Klangbild verpasst, das voll und plüschig ist, aber beileibe nicht auf die Errungenschaften der digitalen Klangerzeugung verzichtet. Zwischen perlenden Klaviertönen und Gitarrengeklimper pluckern anstandslos wohltemperierte Elektronikbeats.

Ganz selbstverständlich füllt Toni Kater so die Leerstelle, die zwischen den Quarks und Paula im gern apostrophierten Sound of Berlin noch verblieben ist. Von Ersteren hat sie das Verspielte und ein bisschen Verquere. Von Letzteren die Sicherheit, keine Angst mehr vor dem allzu Simplen haben zu müssen, „auch wenn man aufpassen muss, nicht sofort in der Schlagerabteilung zu landen“.

Blickt man durchs Fenster des „Intimes“ auf die Boxhagener Straße, sieht man niemanden, von dem man denken würde, er könnte Schlagermusik hören. Man sieht junge Menschen zur Mittagszeit auf dem Weg ins Frühstückscafé, sieht Fahrradkuriere auf dem Weg zum nächsten Auftrag, junge Urbaniten auf dem Weg zur nächsten Miniexistenzgründung. Aber, das beweist der Erfolg von 2raumwohnung oder Paula, auch diese Menschen dort draußen scheinen ein Bedürfnis nach Wohlklang zu haben – nach eingängigen, luftig dahergesungenen Weisen mit ein wenig Tiefgang, nach Pop ohne Reue. Kater Mikosch hat sich beim Videodreh auf der Straße nicht wohl gefühlt, erzählt Ecklebe, „das war schlimm für ihn“. Es war sein erster Ausflug aus der heimeligen Wohnung. Toni Kater aber ist schon ganz richtig hier.

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