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Der Warlord mit den roten Augen

Religiös angehauchte Rebellen, so stark wie seit Jahren nicht, verwüsten den Norden Ugandas und entführen Kinder zum Dienst als Soldaten und Sklaven. Ugandische Angriffe auf Rebellenbasen im Sudan treiben den Krieg zurück ins eigene Land

aus Gulu ILONA EVELEENS

Denis Kyeko läuft mühsam an einer Krücke. Sein linkes Knie ist von einer Gewehrkugel zerschmettert. Vor zwei Jahren entführte die ugandische Rebellenbewegung LRA (Widerstandsarmee des Herrn) den jetzt 15-Jährigen und stellte ihn vor die Wahl: töten oder sterben. Er entschied sich für sein Leben und wurde zum Killer.

Ende vorigen Jahres wurde Denis bei Kämpfen gegen Ugandas Armee verletzt und gefangen genommen. Seither lebt er in einem Auffanglager für ehemalige LRA-Kindersoldaten im Norden Ugandas. „Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich getötet habe“, berichtet er. „Während der Angriffe herrschte Chaos, und ich weiß nicht, welche Kugel traf.“

Denis’ gequälter Gesichtsausdruck spricht Bände. Er hat regelmäßig Alpträume. Trotzdem macht er Pläne für die Zukunft: „Ich will zurück in die Schule, vor meiner Entführung war ich ein guter Schüler. Ich will Arzt werden, um Kranken und Verwundeten zu helfen.“

Prügel im Harem

Allein in den letzten zwölf Monaten hat die LRA mehr als 5.000 Kinder entführt, mehr als je zuvor in dem 17 Jahre währenden Krieg im Norden Ugandas. Die LRA will Präsident Yoweri Museveni vertreiben und das Land anhand der biblischen Zehn Gebote regieren. Zugleich hat sie Basen im Sudan, beschützt vom dortigen islamischen Militärregime.

Pauline Ajok ist ebenfalls 15 Jahre alt. Sie zog vier Jahre mit der LRA herum, bevor sie fliehen konnte. Sie war Lastenträgerin für Plündergüter, und ein LRA-Kommandant nahm sie in seinem Harem als Sexsklavin auf. „Er schlug mich regelmäßig grün und blau, wenn ich Sex verweigerte“, erzählt Pauline. Dann lächelt sie triumphierend und fügt hinzu: „Aber es gelang ihm nie, ein Kind zu machen.“ Zurück zur Schule will Pauline nicht. Sie findet sich zu alt dazu, nicht so sehr in Jahren denn in Erfahrungen. Sie will jetzt Schneiderin werden.

Kurz vor ihrer Flucht war Pauline in einer Gruppe der LRA unter Leitung des Rebellenführers Joseph Kony. „Manchmal war er ganz normal. Aber wenn sich der Geist seiner bemächtigte, sagte er schreckliche Dinge und hatte rote Augen“, erinnert sie sich. Meint sie Drogen? Sie schüttelt den Kopf. Die Kinder sind überzeugt davon, dass Kony übernatürliche Kräfte hat.

Denis und Pauline wohnen zeitweilig mit ungefähr 200 anderen in einem Auffangzentrum von „Gusco“, einer lokalen NGO im nordugandischen Gulu. „Wir bringen die Kinder mit den Eltern zusammen“, erzählt Sozialarbeiterin Stella Ojera. „Viel Überredungskunst ist nötig, weil die Familien nicht wissen, ob sie ein Opfer oder einen Täter zurückbekommen“.

Für Gusco und andere Organisationen, die die von Ugandas Armee aus den Händen der LRA befreiten Kinder resozialisieren, ist die Arbeit schier hoffnungslos. Ein Dutzend Kinder pro Woche geht zu den Eltern zurück – aber täglich werden zehn oder mehr neue entführt.

Die Armee ist nicht unschuldig daran, dass der Krieg weitergeht. Bevor sie in die Auffangzentren können, werden die Kinder von Soldaten befragt. „Einige melden, dass die Armee bei dieser Gelegenheit versuchte, sie zu rekrutieren“, erzählt James Otto, Leiter der Menschenrechtsgruppe „Human Rights Focus“. Die Bevölkerung klage über „Vergewaltigungen, illegale Verhaftungen, Morde und Folter“.

LRA-Führer Kony gehört dem Acholi-Volk an, der größten Bevölkerungsgruppe im Norden. Ugandas Präsident Yoweri Museveni kommt von den Ankole im Südwesten. Südugander trauen der Bevölkerung des Nordens nicht, weil aus dieser Region frühere Diktatoren wie Milton Obote und Idi Amin stammen. Die LRA entstand aus Resten von Obotes Streitkräften, die 1986 in den Norden flohen, als Museveni die Macht übernahm. So hat sie eine Basis in der Bevölkerung. „Die Nordugander fühlen sich von der Regierung vergessen“, so James Otto.

Voriges Jahr erklärte der Präsident der LRA wieder einmal den totalen Krieg. Die Operation „Eiserne Faust“ sollte die Guerilla in ihren Basen im Sudan total ausrotten. Die sudanesische Regierung hatte das erlaubt. Aber die LRA kapitulierte nicht – sie zog nach Uganda. Seitdem nehmen Morde, Plünderungen und Entführungen wieder stark zu. 80 Prozent der Bevölkerung sind jetzt vollkommen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, doch weite Regionen sind für Hilfswerke nicht zugänglich. So fliehen viele an die Ränder der Städte. Etwa 750.000 Menschen im Norden Ugandas sind Flüchtlinge geworden.

Flucht in die Städte

Die Arbeit der Hilfswerke ist gefährlich. Eingeklemmt in einem Konvoi gepanzerter Fahrzeuge fahren vier Lastwagen des UN-Welternährungsprogramms WFP von Gulu nach Cwero, 40 Kilometer nordöstlich. Der Weg ist schlammig, an beiden Seiten steht dichter Busch. Dutzenden schwer bewaffnete Soldaten sehen sich spähend um.

Vor ein paar Jahren war Cwero eine kleine Ortschaft. Jetzt ist es ein Städtchen voller Vertriebener. Die Ankunft der Hilfsgüter ist ein freudiges Ereignis. „Zugleich haben wir Angst, weil das die Chance eines LRA-Angriffs steigert“, sagt Chaerine Abaolo, während sie einen großen Sack mit Bohnen nach Hause schleppt. „Die Gruppe bekommt ihr Essen nur durch Plünderungen.“ Von den Regierungssoldaten erwartet sie wenig. „Die schützen uns nicht. Nachts sitzen sie im Dorf. Wenn es Kämpfe gibt, sitzen wir mittendrin.“

Versuche, Friedensgespräche in Gang zu setzen, blieben bislang erfolglos. „Es fehlt Kony und Museveni am Willen, zu einer Lösung zu kommen“, meint Lam Cosmas, Mitglied einer Friedensinitiative von Acholi-Religionsführern. „Immer wenn es uns gelingt, Kontakte zwischen den beiden herzustellen, verändern sie ihre Verhandlungspositionen.“

Die Vermittlungsfunktion der Kirchen wird immer schwieriger. Vor kurzem reinigten einige Geistliche heilige Stellen von der LRA-Präsenz: Mit Weihwasser wurden Hügel, wo die LRA sich früher zum Beten traf, „vom Bösen gesäubert“, wie ein Geistlicher erklärt. Seitdem sind auch die Kirchen Zielscheibe der LRA. Lam Cosmas ist verzweifelt: „Manchmal denke ich, dass die Regierungstruppen die LRA zerbomben sollen. Aber deren Soldaten sind unsere Kinder.“

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