piwik no script img

Ein wankendes Leben

Von der jungen Musterschülerin der DDR-Literatur zum prominentesten Opfer der Stasi – anhand der Ausstellung zu Christa Wolf in der Akademie der Künste lässt sich eine große Zeitreise unternehmen

Für Peter Hacks war die Schriftstellerin sogar mit schuld am Untergang der DDREin Ding: Die Staatsdichterin wird von der Staatssicherheit überwacht

VON JAN SÜSELBECK

„Ich wende mich besonders an Heiner Müller und Christa Wolf“, betonte der Arbeiter Arnold Eisensee vom VEB Elektrokohle am 30. November 1976 in seinem Schmähbrief an den Schriftstellerverband der DDR. Eisensee empörte sich über die berühmte Protestnote, die Christa Wolf zusammen mit zehn weiteren namhaften Künstlern, darunter Stephan Hermlin und Heiner Müller, gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns am 17. November unterzeichnet hatte. Darin hieß es, die DDR-Regierung solle die „beschlossenen Maßnahmen überdenken“. „Wer von euch hat sich mit ähnlich intensivem Einsatz zum Beispiel an Pinochet gewandt?“, stellte Eisensee die politischen Prioritäten der Literaten in Frage und kritisierte, ausgerechnet die privilegierten Schriftsteller zögen nun jenen Staat „in den Dreck“, für den er jeden Morgen um vier Uhr aufstehe und überzeugt seine Arbeit leiste.

Eisensees wütender Brief, der eine im Westteil Deutschlands damals wohl kaum mehrheitsfähige Sichtweise der Biermann-Affäre in Erinnerung ruft, ist eines der interessanteren Exponate in der Ausstellung „Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen“, die in der Akademie der Künste anlässlich des 75. Geburtstags Christa Wolfs gezeigt wird.

Erstmals werden hier Materialien aus dem Archiv der Schriftstellerin zugänglich gemacht, das die Akademie seit 1994 verwaltet und katalogisiert. „Fünfundzwanzig Regalmeter Papier mussten Blatt für Blatt gesichtet, geordnet, aufgelistet und durchforscht werden“, beschreibt die Planerin Sabine Wolf ihre Vorarbeiten im Begleitband zur Ausstellung.

Wer sich die Dokumente in den düsteren Räumen der Akademie im Hanseatenweg in Ruhe anschaut, macht eine kleine Reise durch die Geschichte der DDR. Und Christa Wolfs herbes, an den Stellwänden immer wieder in großflächigen Fotoserien gezeigtes Gesicht wird entlang der Chronologie der siebenteiligen Ausstellung älter. Hier verknüpft sich die wechselvolle Geschichte eines sozialistischen Staates mit der Biografie einer Schriftstellerin, die einst als junge Musterschülerin der DDR-Literatur angetreten war.

1953 hatte sie bei Hans Mayer ihre germanistische Abschlussarbeit über Hans Fallada eingereicht, die vollkommen nach den Maßgaben der antiimperialistischen Literaturtheorien Georg Lukács’ verfasst war. Nach Lukács’ Diktum war die Romantik idealistisch und rückwärts gewandt – und somit für eine sozialistische Kulturpolitik nicht zu gebrauchen. Für den mittlerweile verstorbenen Peter Hacks war sie in seiner Polemik „Zur Romantik“ (2001) sogar der Inbegriff konterrevolutionärer und gegenaufklärerischer Dunkelmann-Literatur – und letztlich mit schuld am Untergang der von ihm bei aller Kritik so geschätzten DDR.

Hacks’ späte Invektiven zielen auf Christa Wolfs ideologische Wandlung. Ende der Siebzigerjahre, nach Biermanns Ausbürgerung, fing sie im Gefolge Stephan Hermlins u. a. plötzlich an, sich für die Romantik stark zu machen. 1979 veröffentlichte sie bei Luchterhand einen Roman über eine erdachte Begegnung Heinrich von Kleists mit Caroline von Günderrode, „deren Stil uns mit mancherlei Blüten erfreut“ (Hacks): „Kein Ort. Nirgends“. Die Ausstellung dokumentiert diese Zeit aus verschiedensten Blickwinkeln. Zeitungsausschnitte aus Ost und West, Briefe und Textskizzen der Autorin liegen, kaum kommentiert, in Vitrinen nebeneinander.

Wolf kommt in der Geburtstags-Dokumentation keinesfalls immer gut weg. Im Dezember 1981 etwa trat die Schriftstellerin in Ostberlin auf, um mit namhaften Kollegen aus beiden deutschen Staaten gegen das Wettrüsten der Supermächte zu protestieren.

Die Ausschnitte des Videoprotokolls, die nun in der Akademie zu sehen sind, seien dem Besucher als Kuriosum ans Herz gelegt: Während Gerhard Wolf neben seiner Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln unruhig auf seinem Stuhl hin und her rückt, stammelt Christa Wolf eine Reihe erschreckend pathetischer Phrasen zur Sicherung des Weltfriedens: Nur „Spontaneität“, „Hoffnung“ und „Poesie“ könnten die „todkranke“ Menschheit noch retten.

Wurde sie im Osten nach ihrer Biermann-Verteidigung zusehends argwöhnisch als „eine gute Genossin […], die jedoch zeitweilig politischen Schwankungen erliegt“ (IM-Akte Wolf, Deckname „Margarete“) beäugt, so geriet die Autorin im Westen nach dem Fall der Mauer aus der anderen Richtung in die Kritik. Sie hatte 1990 ihren bereits 1979 verfassten Text „Was bleibt“ veröffentlicht, in dem sie ihre Erfahrungen als angebliches Opfer von Stasi-Bespitzelungen beschreibt. „Das ist ja ein Ding“, spottete Ulrich Greiner im Juni 1990 in einem Artikel in der Zeit, der ebenfalls in der Ausstellung zu bewundern ist: „Die Staatsdichterin der DDR soll vom Sicherheitsdienst überwacht worden sein?“

Nun schoss sich die Presse auf Wolf ein, die angeblich sehenden Auges zu lange zu einem „verbrecherischen Regime“ gehalten habe. Besonders komisch aber ist es, hier auch einen Brief zu lesen, den Günter Grass und Antje Vollmer nach dem Mauerfall zusammen an Wolf schrieben. Emphatisch schwärmen die Verfasser von der Kraft des Ausrufs „Wir sind ein Volk“, um auch die DDR-Schriftstellerin rückhaltlos dafür zu begeistern. Ob das noch nötig war?

„Welten verabschieden sich, Koordinatensysteme wechseln, Positionen geraten ins Wanken, müssen neu bestimmt werden“, schreibt Sabine Wolf dazu. So kann man die Ausstellung natürlich auch zusammenfassen.

Stiftung Akademie der Künste, Tiergarten, Hanseatenweg. Christa Wolf zum 75. Geburtstag. „Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen“. Bis zum 2. Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen