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Beamte unter Beschuss

In Wuppertal versammelten sich gestern Mittag etwa 50 Erwerbslose vor ihrem Amt. Im Vorfeld hatte eine Internet-Umfrage für Furore gesorgt

„Viele Mitarbeiter im Arbeitsamt haben Spielräume, die sie zu Ungunsten der Betroffenen auslegen“

VON NATALIE WIESMANN

Vor dem Arbeitsamt Wuppertal hat sich gestern der Protest einiger Erwerbsloser formiert: Das Sozialforum Wuppertal – ein Zusammenschluss von Betriebsräten, attac-Mitgliedern, PDS-Vertretern und AStA-Leuten – hatte die Arbeitslosen zur Vollversammlung aufgerufen. Schwerpunkt der Vorträge und einer Podiumsdiskussion war die Debatte zum „neoliberalen Sozialstaatsabbau“. Dazu servierten die Veranstalter ein dreigängiges Mittagsmenü, für abends war eine „Beach-Party“ angesetzt. Doch viele Sozialinitiativen distanzierten sich im Vorfeld von der Aktion, auch die für die Podiumsdiskussion angefragten Arbeitsamtmitarbeiter sagten ab.

Auslöser der Distanzierung war ein virtueller Fragebogen auf der Seite des Sozialforums. Anonym sollten Wuppertaler Arbeitslose Angaben dazu machen, wie sie auf dem Arbeitsamt behandelt werden. Problematisiert wurde die Bewertung von einzelnen MitarbeiterInnen und dazugehörigen Auflistung von all diesen samt Zimmernummer. Dirk Wallraff, Geschäftsführer vom Arbeitslosenzentrum in Wuppertal begrüßt jede Gelegenheit zur Diskussion über die Lage der Arbeitslosen: „Aber ich halte es für sehr fragwürdig einzelne Mitarbeiter zu bewerten.“ Gerhard Küster von der verdi-Fachgruppe Arbeitsverwaltung NRW ist sehr verärgert: Es sei sicher notwendig, die verschärften Bedingungen für Arbeitslose zu thematisieren. Seine Gewerkschaft habe dies als Erstes getan. „Aber es kann doch nicht sein, dass man einzelne Mitglieder an den Pranger stellt.“ Er drohte dem Sozialforum mit rechtlichen Schritten.

Nun hat sich vor ein paar Tagen auch eine Mitarbeiterin der Landesdatenschutzbeauftragten NRW eingeschaltet: „Die Veröffentlichung von Daten über Beschäftigte ist grundsätzlich nicht zulässig“, so Yvonne Conrad. Dies wäre nur möglich, wenn die Daten bereits vorher im Internet zur Verfügung stünden. Und vor allem hätten die Veranstalter nichts von der Umfrage gehabt: „Auch die Ergebnisse hätten nicht publiziert werden dürfen“. Allerdings habe sich das Sozialforum einsichtig gezeigt und den Fragebogen sofort aus dem Netz genommen, so die Datenschutz-Mitarbeiterin.

„Ein Pranger ist notwendig“, meint jedoch Sozialforum-Sprecher Guido Arnold. Die Arbeitsmarktreformen seien zwar das Hauptproblem. „Aber die Mitarbeiter im Arbeitsamt haben Spielräume, die sie oft zu Ungunsten der Betroffenen auslegen.“ So würden weiterbildungswillige Arbeitslose oft jahrelang nicht gefördert. Außerdem würden Sperrzeiten provoziert, indem Einladungen zu Maßnahmen zu spät verschickt würden. „Wir wollen auch die Mitarbeiter dazu ermuntern, mit den Leuten korrekt umzugehen“, so Arnold.

Und das Sozialforum wolle auch die wichtigsten Ergebnisse der der 200 ausgefüllten Fragebögen öffentlich diskutieren, sagte der Veranstalter im Vorfeld der Veranstaltung. Mit der Datenschutzbeauftragten wolle sich das Sozialforum jedoch nicht anlegen und die Erhebungen zu den einzelnen Mitarbeitern nicht veröffentlichen. Höchstwahrscheinlich wäre dies auch an den Zuhörern vorbeigekommen. Ein Beobachter berichtete, dass die meisten der Beteiligten am frühen Nachmittag besoffen waren.

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