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Rebellen verlassen Leszek Millers Partei

Führende Abgeordnete des polnischen Regierungsbündnisses SLD erklären ihren Austritt und gründen neue Linkspartei. Die SLD sei nicht reformierbar. Nun wird in Warschau mit dem baldigen Rücktritt von Ministerpräsident Miller gerechnet

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Marek Borowski nutzte die Gunst der Stunde. Kaum war Regierungschef Leszek Miller zum EU-Gipfel nach Brüssel abgeflogen, trommelte der Parteirebell des Bündnisses der demokratischen Linken (SLD) auch schon die Seinen zusammen. Nach stundenlanger Diskussion war es so weit. Gegen Mitternacht war Polen um eine Linkspartei reicher. „Sozialdemokratie Polens“ (SDPL) nennt sich das Fähnlein der 26 Aufrechten, die mit ihrem Schritt die regierende SLD gespalten und die Minderheitsregierung Millers geschwächt haben.

Miller, von dem in Warschau sogar behauptet wird, dass er morgen seinen Rücktritt zum 4. Mai erklären würde, wollte sich in Brüssel weder zur Spaltung der SLD noch zu den Rücktrittsgerüchten äußern. Bislang war es dem 57-Jährigen immer wieder gelungen, die Partei im letzten Moment zu disziplinieren und abermals hinter sich zu bringen. Doch von Brüssel aus hatte er keine Chance: Nun werden sogar schon die Namen möglicher Nachfolger gehandelt: Innenminister Józef Oleksy, Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz und Exfinanzminister Marek Belka.

Schmiergeldaffären, Lügen und Strippenzieherei haben die SLD in den Augen der Wähler zu dem zurück mutieren lassen, was die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) in der Solidarność-Zeit war, zur „Partei der Apparatschiks“. Immer öfter wurde innerhalb der Partei Kritik laut, so könne es nicht weitergehen. Reformen seien dringend erforderlich. Doch Miller nickte nur und tat nichts. Die Mitglieder verließen die SLD, die frühere Staatspartei, in Millionenzahl.

Miller selbst gehörte zum so genannten „Beton“, es gelang ihm aber in den 90er-Jahren, sich den Ruf eines ideologiefreien Technokraten und effektiven „Machers“ zu verschaffen. 2001 konnte seine Partei mit 41 Prozent der Stimmen einen deutlichen Wahlsieg verbuchen. Die PolInnen hofften damals, dass er die wachsende Arbeitslosigkeit eindämmen könnte und mit eisernem Besen durch die verfilzte Verwaltung fegen würde.

Die früheren Regierungsparteien Wahlaktion Solidarność (AWS) und Freiheitsunion (UW) wurden abgestraft und schafften es nicht einmal mehr über die Fünfprozenthürde. Die AWS spaltete sich damals auf.

Die Hoffnungen der Polen wurden allerdings sehr enttäuscht. Die Arbeitslosenrate ist mit über 20 Prozent so hoch wie nie zuvor. Die Korruption ist im gesamten Land ein großes Problem, und die Gesundheitsreform endete in einem einzigen Desaster. Mehrere Regierungsmitglieder mussten ihren Hut nehmen, nachdem ihnen öffentlich Bestechlichkeit, Amtsmissbrauch und Unfähigkeit vorgeworfen worden war. Heute würden gerade mal noch 9 Prozent der Wähler ihre Stimme der SLD geben, bei den Europawahlen im Juni sogar nur 8 Prozent.

Auf dem Parteitag vor drei Wochen rief Parlamentspräsident Borowski in einer dramatischen Rede dazu auf, die SLD durch einen tief greifenden Neuanfang als linke Partei zu retten. Er forderte die Rückkehr zu alten linken Werten. Miller trat zwar wie angekündigt als Parteivorsitzender zurück, doch an seiner Stelle wurde Krzysztof Janik gewählt, Millers engster Parteikollege aus alten Tagen. Er symbolisiert Kontinuität.

Den Reformern in der Partei, zu denen auch Außenminister Cimoszewicz zählt, wurde klar, dass sich in dieser SLD nichts bewegen würde. „Leszek Miller hat das Vertrauen verloren und muss gehen“, kündigte Borowski an. Sollten die Oppositionsparteien die Auflösung des Parlaments, des Sejm, fordern, würde die SDPL diesen Antrag unterstützen, um so den Weg für Neuwahlen freizumachen.

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