: Tenever als Höllenlandschaft
Satanismus, pädophile Oberschichten und ein Stadtteil, der wie eine Strafe Gottes wirkt: Sonntagabend läuft Thorsten Näters dritter Radio Bremen-Tatort. Näter lässt das Böse regieren, ohne dabei voyeuristisch zu sein
Bei Morgengrauen aus einem fliegenden Hubschrauber heraus mit einem verzerrenden Weitwinkelobjektiv aufgenommen, sieht der Bremer Hochhaustrabant Tenever wie eine Höllenlandschaft aus. Und auch sonst hat Regisseur Thorsten Näter sich große Mühe gegeben, den Stadtteil wie eine Strafe Gottes wirken zu lassen.
Der Beton scheint hier auf alles seinen grauen Schatten zu werfen, die Farben haben den Kampf gegen ihn längst verloren. Ungemütlicher kann es einem ein Filmemacher kaum machen. Und dann ist da gleich zu Beginn diese Szene, bei der die Kommissarin Lürsen und ihr Kollege Stedefreund die Eltern eines jungen Mädchens befragen, das sich von einem dieser Hochhäuser gestürzt hat.
Die Atmosphäre in deren Wohnung ist so bedrückend dass es der kryptischen Tätowierung der Toten und der unheilvollen Filmmusik gar nicht mehr bedurft hätte, um klarzumachen: Hier regiert das Böse.
„Für die Bremer sind wir das Letzte“, schimpft später einer in der Kneipe, wenn der teneverische Volkszorn sich an den Behinderten entlädt, die vor kurzem in den Stadtteil umgesiedelt wurden. Ausgerechnet Pago Balke, Co-Regisseur des Films „Verrückt nach Paris“ gibt einen der lautesten Krakeeler, und die Akteure des Bremer Kunst- und Psychiatrieprojekts „Blaumeier“ spielen mit der ihnen eigenen chaotischen Energie die Bewohner des Heims, das dann später vom aufgebrachten Mob gestürmt wird.
Aber das ist nur ein Nebenschauplatz. Denn Thorsten Näter, der auch das Drehbuch schrieb, erzählt hier von Satanismus und Kindesmissbrauch. Damit will er keineswegs schockieren wie Thorsten Jauch im letzten Bremer Tatort „Die Liebe der Schlachter“ – der es mit seinem Fleischerhaken bis auf die Titelseite der „Bild“ schaffte.
Näter wurde durch den Selbstmord von drei jungen Satanisten in Sachsen, besonders aber durch den Dokumentarfilm „Höllenleben“ der Bremer Filmemacherin Liz Wieskerstrauch auf das Thema aufmerksam und versucht eine heikle Gratwanderung zwischen Fernsehunterhaltung und Information.
Dafür führt er sogar eine Bibliothekarin ein, die dem Kommissar gleich mehrere Vorträge über Sekten hält. Eigentlich ein dramaturgische Todsünde, die beim Fernsehen durch massenhaftes Wegzappen bestraft wird. Aber Näter war so schlau, diese Rolle mit Monica Bleibtreu so stark zu besetzen, dass man trotzdem gebannt zuhört.
Die Spur führt das Kommissarduo von Tenever in die höchsten gesellschaftlichen Schichten Bremens, denn der satanistische Orden wird von den Mächtigen betrieben, die unter dem esoterischen Deckmäntelchen ihren sadistischen und pädophilen Lüsten frönen – so dass auch Teneveraner letztlich eher Opfer als Täter sind. All das dividiert der Film präzise auseinander, über lange Strecken bietet er spannende Investigation und vermeidet dabei jeden Voyeurismus.
Dafür wird beim Finale um so dicker aufgetragen: Der Film endet in einer blutigen schwarzen Messe, vorher gab es noch eine Verfolgungsjagd am Weserufer, bei der sich die Ortskundigen darüber amüsieren können, wie die Autos nur durch das Wunder des Filmschnitts plötzlich von der rechten auf die linke Weserseite teleportiert werden.
Wilfried Hippen
Sonntag 20.15 Uhr, ARD. Ab 21.45 Uhr stehen der Regisseur und diverse Satanismusexperten im Internetforum für Fragen zur Verfügung (www.radiobremen.de)
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