: Spitze Winkel sind tabu
Harmonische Abmessungen, klare Formen und aufwändige Oberflächen: Einrichtungsgegenstände aus China und Japan richten sich zumeist nach einem jahrhundertealten Formen- und Farbenkanon
von MICHAEL KASISKE
Wird die Architektur und das rasante Wachstum der asiatischen Städte seit vielen Jahren in Ausstellungen und Büchern aufgearbeitet, so ist über das Wohnen in Fernost hingegen wenig bekannt. Welche Möbel werden benutzt, welche Dinge genießen Wertschätzung bei Chinesen und Japanern, auf denen der Blick meist ruht, wenn von asiatischen Interieurs die Rede ist. Beide Gesellschaften sind – auf jeweils eigene Weise – in einem strukturellen Wandel, dessen Ausgang offen ist. So können lediglich die traditionellen Gegenstände gewürdigt werden, die von jeher in Europa wegen ihrer klaren Formen und des handwerklichen Aufwands bewundert werden.
Längst ist bekannt, dass in China Räume und ihre Ausstattung den Regeln der Harmonielehre Feng Shui unterliegen. Mancher ausländische Architekt hat bei Bauten etwa in Hongkong mit einschlägig versierten Beratern zusammenarbeiten müssen und seinen Entwurf von den Raumformen und die Möblierung bis zum Türanschlag nach deren Hinweisen ausgerichtet. Grundlage der Lehre ist das Prinzip des Ausgleichs Yin und Yang. Das spiegelt sich vor allem in ausgewogenen und komplementär komponierten Formen wider – spitze Winkel sind tabu.
Harmonische Abmessungen prägen auch das chinesische Möbel. Bis zur Industrialisierung im 20. Jahrhundert unterlag es einem strengen Formen- und Farbenkanon, der in weiten Teilen bereits auf die Ming-Dynastie zurückgeht, die vom 14. bis zum 16. Jahrhundert währte. Die klaren kubischen Formen haben die Anfänge der modernen Architektur beeinflusst. Auch das Herausstellen des Materials und die Kultivierung seiner Erscheinung lassen sich auf die Faszination von chinesischen Lackarbeiten, aber auch von ephemeren, teilweise nur aus Papier bestehenden Gebrauchsgütern zurückverfolgen.
Die Schönheit von Lackoberflächen lässt sich im Berliner Anteak-Wohnstudio an den antiken Objekten aus dem 19. Jahrhundert nachvollziehen. Vom perforierten Vorratsschrank bis zur geschlossen, mit Schubladen und Türen versehenen Kommode reicht das Programm. Der Korpus, also die Vorderseite, besteht hier traditionell aus einem edlen Hartholz wie Ulme oder Zeder, manchmal sogar Kampferholz. Die Seitenteile und die Rückwand sowie die Innenausbauten sind aus preisgünstigem Weichholz gefertigt. Wert auf Qualität legt auch der Online-Händler Peter Heyer, der sich mit japanzimmer.de auf die Ästhetik aus dem Reich Nippons spezialisiert hat. Natürlich führt er das grundlegende Element aller japanischen Wohnungen, die traditionellen Matten namens Tatami; sie bestimmten bis in die Gegenwart die Größe der Räume und gaben genau vor, in welcher Reihenfolge die Gäste um den zentralen Teetisch sitzen. Werden die Tatami in Japan sukzessive durch andere Bodenbeläge ersetzt, erfreuen sie sich bei uns großer Beliebtheit.
Der schall- und wärmedämmende Belag besteht aus getrocknetem, fest gepresstem und vernähtem Reisstroh; auf diesen Oberflächen ist jeweils eine Matte aus Igusa-Gras gelegt. Eine Einfassung aus schwarzem Baumwollband unterstreicht den Charakter der Matte als eine Maßeinheit. Japanzimmer.de führt Tatami in zwei Qualitäten: Standard ist die Ausführung mit einer Dicke von 4,5 Zentimeter, die als Unterlage für Futons und andere Flächen mit geringer Beanspruchung empfohlen wird, die etwas dickere „High Quality“-Ausführung besitzt eine feinere Oberflächenstruktur sowie eine festere Füllung und ist als Lauffläche geeignet.
Durch die Nähe zum Fußboden scheint das Bett „Myako“ besonders der japanischen Tradition zu entsprechen, obschon in der traditionellen Wohnung die Schlafstätten erst abends gerichtet wurden und ein festes Bett in einem als Schlafraum bestimmten Zimmer nicht üblich war. Myako besteht aus massivem Birkenholz, dessen Oberfläche entweder geölt und gewachst, Nussbaum dunkel gebeizt und klar oder schwarz lackiert ist.
Besonders an die Alltagskultur erinnern die typisch japanischen Lampenschirme, von denen japanzimmer.de zwei Typen anbietet (30 x 70 cm und 29 x 40 cm). Beide bestehen aus Papier und Holzstäbe und kosten lediglich 14,50 Euro pro Stück. Sie zeugen von dem Einfachen und Vergänglichen, doch formal Beständigen, das die japanische Formgebung auszeichnete.
Die Veränderung durch den Einfluss elektronischer Medien auf das städtische Leben beschreibt Akira Suzuki, Professor für Design an der Universität von Kobe, in dem Buch „Do Android Crows Fly Over the Skies of an Electronic Tokyo?“ auf anschauliche Weise. An die Stelle sinnlicher Kommunikation treten zunehmend elektronisch erzeugte Surrogate, was nicht ohne Folgen für die Dingwelt bleibt.
Der Bedeutungsverlust der Tatami, die bis vor kurzem noch den Maßstab für die alltäglichen Handlungen wie die Teezeremonien, die drei Tagesmahlzeiten und auch das Schlafen vorgaben, resultiert aus der radikalen Abkehr von den einst strengen Ritualen, ohne dass sich neue Formen etablieren. Die Folgen des Wandels sind nicht abzusehen. Es könnte passieren, dass asiatische Ästhetik als ein Image in Europa überlebt, wie die hierzulande beinahe nicht mehr existente Handwerkskunst Deutschlands im Ausland weiter als besonderes Qualitätsmerkmal gilt.
Antiquitäten mit Schwerpunkt China: Anteak Wohnstudio, Hagelberger Str. 52, Berlin-Kreuzberg, www.anteak-wohnstudio.de. Japanische Möbel und Accessoires: japanzimmer.de – Onlineshop für asiatisches Interieur, www.japanzimmer.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen