: Auch hier: Leere Versprechen
In der Rotkreuz-Kinderstadt Henry Town geht alles seinen normalen Gang: Es wird gefeilscht, Geld regiert, und mit dem Bürgermeister sind alle BürgerInnen eher unzufrieden
von LENA ULLRICH
Mitten in Hamburg hat das Jugend-Rotkreuz die Kinderstadt „Henry Town“ (benannt nach Rotkreuz-Gründer Henri Dunant) aus dem Boden gestampft. Vorgestern haben 210 Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren in Henry Town ihre neuen Unterkünfte bezogen. Innerhalb der Stadtgrenzen, dem Schulgelände „Hinter der Lieth“ in Lokstedt, herrscht seitdem Geschäftigkeit. Wie in einer richtigen Stadt blüht in Henry Town der Handel.
Neben dem Einwohnermeldeamt, dem Arbeitsamt, dem Finanzamt, der Touristenbehörde und den Stadtwerken haben die Kinder zahlreiche Betriebe eröffnet. Es gibt unter anderem Restaurants, Friseure und Tischler.
Bezahlt wird mit Henry, der hier gängigen Währung. Zweimal täglich suchen die Kinder im Arbeitsamt nach einem Job. Wer kein Angebot bekommt ist für einen halben Tag arbeitslos. Für Patrick Otto kein Grund zur Langeweile: „Ich habe bei der Bank ein Darlehen bekommen, weil ich mich mit Pfannkuchen selbständig machen wollte“, erklärt Patrick. Der frisch gebackene Geschäftsführer steht bereits wieder mit 58 Henry im Plus. Ein Junge mit Sonnenbrille kommt bei ihm vorbei und bettelt um 10 Henry. Patrick gibt ihm ein paar von seinen bunten Papierschnipseln und bemerkt: „Wenn du dich stündlich beim Arbeitsamt meldest, geben sie dir fünf Henry.“
Auch Elias Baghlani meldet sich beim Arbeitsamt. „Ich war Chef in einem Restaurant. Die anderen haben abgestimmt, dass ich gehen muss, weil ich zu einem Mädchen ‚Heulsuse‘ gesagt habe,“ erklärt Elias. Nachmittags hofft er in der Moschee Arbeit zu finden. Bis dahin sieht Elias sich in der Stadt um. Hier trifft er andere Kinder, die Tretauto fahren, auf eine Hüpfburg klettern und ihre Henrys ausgeben. „Die Kinderstadt soll abbilden was draußen geschieht,“ sagt Pressesprecher Bernt Edelhoff. „Sie ist dazu gedacht, Kinder mit gesellschaftlichen Problemen spielerisch vertraut zu machen.“
Die friedliche Lösung der Konflikte unterstützt der gewählte Kinder-Senat. Der zwölfjährige Bürgermeister Mark Roschlaub hat bereits eine Menge zu tun. Zum Beispiel fordert Marlon Mücke, der die Tretautos vermietet, dass es Polizisten geben solle. „Manche fahren einfach, ohne Führerschein und viel zu schnell“, beklagt Marlon. Außerdem steht in der Tageszeitung von Henry Town heute nichts Gutes über den neuen Bürgermeister: Nach einer Umfrage glauben die Bürger nicht an Marks Wahlversprechen: „Pizza jeden Tag und die Abschaffung der Steuern“. Es wurde bereits eine Initiative gegründet, die Unterschriften für einen neuen Bürgermeister sammelt.
Davon lässt sich Mark nicht beeindrucken: „Nur der Senat kann mich abwählen, aber das sind meine Freunde,“ sagt er. Außerdem hat er prominente Unterstützung. Gestern empfing ihn der echte Stadtregent Ole von Beust.
Infos zu der Kinderstadt gibt es unter www.henry-town.de.
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